Reibereien
besinnen?«
Sie sah mich durchdringend an und richtete sich dann mit einem Lächeln auf.
»Na schön. Um so besser«, erklärte sie.
Sie warf einen Blick auf Boris, der mit ans Ohr geklemmtem Handy auf und ab ging und den Ra sen absuchte, ohne sich dabei viel Mühe zu geben.
»Wenn das so weitergeht, verlasse ich ihn demnächst«, sagte sie gähnend.
Dann fragte sich mich: »Gibt es hier nicht ir gendwo eine Ecke, wo wir uns küssen können?«
Genau in diesem Augenblick trafen die anderen ein.
Es war schon früh am Morgen, als ich den Moment für geeignet hielt. Manche planschten noch im Wasser, andere unterhielten sich, schmierten sich in der Küche Brote, räkelten sich mit einer Flasche in der Hand in einem Liegestuhl und betrachteten den Himmel oder beschäftigten sich mit ihrem Laptop. Jon hatte etwas zu rauchen mitgebracht, und jetzt lag ein leichter Nebel über allem.
Marc, ein Schriftsteller, der auch hereingeschneit war, hatte uns gerade das letzte Kapitel seines Buchs vorgelesen, und es war, als hätte er uns mit einer Keule einen Schlag auf den Schädel versetzt - bei der Avantgarde muß man sich manchmal ziemlich an strengen, es sei denn, man hat das im Blut, oder man gerät an ein Genie. Ich gratulierte ihm und stand auf, um Bier zu holen.
Bis dahin hatten Odile und ich nur ein paar flüchtige, zwar heiße, aber eben flüchtige Liebkosungen getauscht – zwischen Tür und Angel oder hinten im Garten, im Schutz der Dunkelheit. Diesmal nahm ich sie mir in der Küche vor, doch kaum war ich mit einer Leichtigkeit, die uns beide verblüffte und mit Begeisterung erfüllte, in sie gedrun gen, tauchte Jon auf und durchsuchte die Schub laden nach Aspirin.
Außer Atem flüsterte ich Odile ein paar Wo rt e ins Ohr, um sie aufzufordern, Geduld zu haben – sie begnügte sich mit einem halb unter- drückten Fluch –, und gab Jon, die ihre Schuhe ausgezogen hatte und ziemlich achtlos über Glassplitter lief, ein Röhrchen Aspirin.
Ich ging mit meinem Vorrat an kühlem Bier und einem Gefühl der Leere, die sich auch durch den Anblick der anderen nicht verdrängen ließ, zu So nia und hockte mich neben sie. Ich betrachtete sie, während sie mit Corinne und Sandra diskutierte – zwei Vegetarierinnen, die Heroin spritzten und ei nen kleinen, zur Zeit gut laufenden Verlag leiteten, den ich mit meinen zinslosen Krediten und meiner großen Geduld, was die Pünktlichkeit der Rückzahlungen anging, sponserte –, ich beobachtete sie, während sie die Bierdosen aufmachten, und fragte mich, ob ich nicht etwas zu weit ging. Aber ich fand darauf keine Antwort, sah keine stichhaltigen Gründe. Das Leben erschien mir manchmal wie eine Sackgasse, ohne Stufen, die man hinaufsteigen kann, ohne Highlights, und ich hatte den Eindruck, daß alles einerlei sei und daß wir nur winzige Teilchen im Weltall waren und es nichts brachte zu kämpfen.
Es fiel mir schwer, dagegen anzukommen, uns allen fiel es schwer. Wenn ich allein auf einem Dach stand und mich darauf vorbereitete, die Fassade hinabzuklettern, fühlte ich mich von einer Kraft erfüllt, von der ich mir wünschte, sie würde mich nie verlassen, aber das war natürlich die reinste Il lusion. Wie jemand, der sich im Sturm an einen Mast klammert, schaffte ich es erstaunlicherweise gerade noch, morgens aufzustehen und mich nicht einfach wieder unter der Bettdecke zu verkriechen.
»Das mag ich so an dir«, hatte Sonia oft zu mir gesagt, als wir noch im selben Bett schliefen. »Deinen strahlenden Optimismus, den mag ich so gern. Im Moment war von diesem strahlenden Optimis mus bei mir jedoch kaum etwas zu spüren, eher eine gewisse Düsterkeit. Ich küßte sie auf den Schenkel, und sie legte mir die Hand auf den Kopf. Aber im Grunde empfand ich nichts. Dabei hatte ich sie geheiratet. Niemand hatte mich dazu gezwungen. Fast all die Typen, die hier waren, hatten eine Frau gehei ratet. Und was blieb davon übrig? Es war verblüf fend.
»Meiner Ansicht nach hat sich Jon Nicolas gegenüber schlecht verhalten«, erklärte Corinne und goß Cola in ihr Bier. »Sie hat seine Krankheit ganz einfach ignoriert.«
Ohne wirklich den Versuch zu machen herauszufinden, worüber sie sprachen, nickte ich und sagte mir, daß der Keller sich wohl am besten dazu eigne, die Sache mit Odile, die gerade lachend mit Jon auf der Türschwelle auftauchte, durchzuziehen.
»Es wundert mich, daß sie deine beste Freundin ist«, sagte ich zu Sonia.
»Ich bitte dich. Hör auf damit.«
Wenn wir
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