Reibereien
gezwungen wären herauszufinden, was uns wirklich antreibt, und immer einen Stein nach dem anderen hochheben müßten, wäre das Leben grauenhaft. Und es würde uns auch nicht weiter bringen. Jetzt war das Köln Concert von Keith Jarre tt zu hören - die Passage, wo er ständig Oh und Ah brummt -, wobei die Töne in das bebende Mor gengrauen aufstiegen.
Ich stand auf und blieb kurz am Rand des Swimmingpools stehen, ehe ich zu Odile ging. Marc war mit einer Blonden zusammen, die sich nicht wohl fühlte und die wir aus dem Wasser zogen, ehe sie die Augen verdrehte. Wir legten sie ins Gras.
»Ich habe dieses Buch in drei Tagen geschrie ben«, vertraute er mir an, »aber dabei habe ich fast zwölf Pfund abgenommen. Komm doch m al zu ei ner meiner Lesungen. Es lohnt sich.«
»Reizt es dich nicht, mal einen richtigen Roman zu schreiben?«
»Meinst du mit einem Anfang und einem Ende? Meinst du mit richtigen Romanfiguren? Und mit einer Handlung?«
Er schüttelte den Kopf mit einer Grimasse, und während wir uns über die junge Frau beugten, die sich über Magenbeschwerden und Ausbrüche von kaltem Schweiß beklagte, erklärte er mir, daß es diese Romane, von denen ich sprach, schon seit über hundert Jahren nicht mehr gäbe, daß die Art von Roman, die ich meinte, das Zeitliche gesegnet habe, und die Zukunft der allgemeinen Dekon struktion gehöre, auch wenn man den Feinden der Moderne damit etwas unverständlich erscheinen möge.
»Wir sind derart im Rückstand im Vergleich zur Musik«, seufzte er. »Und zu den Bildhauern. Zum Experimentalfilm. Zu den Wissenschaften und zur Technik. Wenn wir nichts unternehmen, wird die Literatur zu einer Sache für alte Leute. Wenn du mich fragst, ist sie das im Grunde schon.«
In der Zwischenzeit hatte seine blonde Freundin einen Wunsch geäußert, und wir begleiteten sie zur Toilette, jeder auf einer Seite, während sie uns beiden den Arm um den Nacken gelegt hatte und ihr Kopf von links nach rechts pendelte, dabei mur melte sie ein paar Worte des Dankes und des Unverständnisses hinsichtlich dessen, was mit ihr vor ging.
Wir warteten vor der Tür mit einem Glas in der Hand und unterhielten uns über alles mögliche.
»Ich kann dir leider nicht sagen, worauf das alles hinausläuft«, sagte er etwas vage. »Wir müssen damit rechnen, daß das Leben nicht gerade leichter wird.«
»Manchmal hat man den Eindruck, daß man nicht in der Lage ist, mit den Dingen fertigzu-wer den. Ich frage mich mal wieder, was ich da eigentlich tue.«
»Das fragt man sich verdammt oft. Was bringt das schon? Aber wir hören verdammt noch mal nicht damit auf.«
»Und dann all die dunklen Geschichten, die dahinterstecken«, fügte ich hinzu und lehnte mich an den Türrahmen. »Und das Gefühl, daß einen nichts zurückhalten kann. Daß man mit dem Besten oder dem Schlimmsten zu rechnen hat. Daß einem nichts den Weg versperren kann.«
»Genau. Haargenau.«
»Und alles hängt davon ab, ob man erfahren hat, was Liebe ist, Marc. Alles hängt davon ab, ob man daran glaubt.«
»Wie bitte? Ob man was erfahren hat?«
Wir hörten das Geräusch der Wasserspülung. »Nenn es, wie du willst«, riet ich ihm.
Als ich mich abwandte, stellte ich fest, daß nie mand mehr im Raum war. Sie hatten keinen Hun ger mehr, waren zur Ruhe gekommen, hatten getrunken, geraucht und weiß der Henker was sonst noch alles getan, hatten über das Chaos diskutiert, in das das alte Europa hinein- schlidderte und ob man den Amerikanern eins auf die Nase geben solle, sie hatten sich in die lauschigen Winkel des Gartens verzogen oder trieben steif wie Leichen auf durchsichtigen Luftmatratzen im Wasser – Jon war in einen Rettungsring gesprungen und betrachtete ihre Füße, die vor ihr aus dem Wasser ragten.
Ich sprach Odile darauf an. Sie lutschte an ei nem Eis und gab mit einem Nicken ihr Einver ständnis zu erkennen.
»Aber paß auf«, flüsterte sie mir mit unschuldi ger Miene zu. »Paß auf. Ich glaube, Sonia beob achtet uns.«
Ich überprüfte das diskret. Sonia hatte wie ge wöhnlich einen ganzen Hofstaat um sich versam melt, und im allgemeinen war sie derart damit be schäftigt, ihre Nummer abzuziehen, daß ich das ganze Haus in Brand hätte setzen können, ohne daß sie es bemerkt hätte.
Aber Odile hatte recht. Sonia beobachtete uns tatsächlich. Ihr Kopf schien die Köpfe der anderen zu überragen, so als hätte sie die Blase, in der sie eingeschlossen waren, zum Platzen ge- bracht, um alles um sie herum zu
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