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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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setzte mich ins Auto und fuhr in die Stadt zurück.
    Diese ganze Geschichte ging mir gegen den S trich. Sie brachte mich derart durcheinander, daß mir eines Abends etwas passierte, was mir noch nie passiert war: Ich löste eine Alarmanlage aus.
    Als ich später auf meinem Bett lag, klopfte mir das Herz noch heftig in der Brust. Meine Handflächen brannten wie Feuer, waren von dem Seil ver sengt worden. Ich sah noch, wie die Bullen aus ihren Autos sprangen. Und wie ich mit meinen Taschen in der Hand wie ein Irrer wegrannte, über einen Zaun sprang und mich wie durch ein Wunder in Luft auf löste.
    Dann ging ich in meinem Zimmer auf und ab und schlug klatschend mit der geballten Faust auf die Handfläche der anderen Hand.
    Wie war es möglich, daß ich mich auch nur eine Sekunde hatte ablenken lassen? Wie hatte meine Aufmerksamkeit inmitten all der Technik, die man gegen mich einsetzte, bloß nachlassen können? War ich verrückt geworden? War ich zu einer Gefahr für mich selbst geworden? War das die Wahrheit?
    Als ich am nächsten Tag Lili in einem aufgehängten Autoreifen sitzen sah, der ihr als Schaukel diente, sagte ich mir, daß das Leben voller Tücken war.
    Eines Morgens kam meine Mutter mit Verspätung in die Buchhandlung.
    Ich hob den Kopf, als sie eintrat, und hatte plötzlich den Eindruck, eine alte Frau vor mir zu sehen.
    Dieses Bild stand mir nur ganz kurz vor Au- gen, aber es war wie eine Vision, und ich bemühte mich noch einmal, mit ihr zu sprechen, während man uns auf der Terrasse eines Cafes einen Salat brachte.
    Als erstes ergriff ich ihre Hand. Dann küßte ich ihre Hand. Und anschließend flehte ich sie an, mit mir zu reden, mich nicht mehr im ungewissen zu lassen und mich nicht mehr als Feind anzusehen, denn das machte mich krank.
    »Ich merke doch genau, daß irgend etwas nicht stimmt. Ich bin doch da, um dir zu helfen. Was ha be ich in all diesen Jahren anderes getan?«
    »Ist das ein Vorwurf?«
    »Hör zu, darum geht es nicht. Du bist meine Mutter, und du hast ein Problem. Wenn du also einverstanden bist, werden wir es gemeinsam lösen. Dafür bin ich da. Es tut mir nur leid, daß du das nicht eher gemerkt hast, das ist alles.«
    Gegen drei Uhr nachmittags bestellten wir uns unseren sechsundfünfzigsten Kaffee. Es dauerte lange, bis sie ihren Widerstand aufgab. Ich hatte sie an unser früheres gemeinsames Leben erinnert, ihr die Orte, an denen wir gewohnt hatten, und die schönen Momente, die wir dort verlebt hatten, ins Gedächtnis zurückgerufen. Nicht selten lachten wir bei diesen sentimentalen Geschichten, manch mal waren wir beide auch ein wenig gerühr t, oder wir verglichen unsere Erinnerungen, wobei wir mit dem Schatten des Sonnenschirms um den Tisch rückten.
    Ich war elf, als ich meinen Vater zum letzten Mal sah, und seitdem hatte ich mein ganzes Leben an ihrer Seite verbracht. Ich erinnerte sie daran, daß sie mir nie lange etwas Wichtiges verheimlichen konn te.
    »Aber dessen bist du dir nicht sicher«, erwiderte sie.
    »Das stimmt. Ich bin mir nicht sicher. Jeder kann sich auf einen toten Winkel berufen.«
    Sie sah mich fest an und nickte lange dabei. Es sah aus, als überprüfe sie jeden Zug meines Ge sichts.
    »Dabei habe ich nur das getan, was ich für das Beste hielt«, erklärte sie schließlich. »Für dich wie für mich.«
    »Allerdings, aber dagegen läßt sich nichts tun. Darüber haben wir ja schon oft genug geredet, meine ich. Ich führe genau das Leben, das ich führen möchte. Und das hat nichts mit dir zu tun, wann begreifst du das endlich! Bitte, hör endlich damit auf.«
    »Aber du hast keine Ahnung, was Liebe ist. Du weißt nicht einmal, wovon du sprichst.«
    »Und wer ist dar an schuld? Niemand. Dafür kann ich doch nichts. Was soll ich denn machen, hm? Eine Annonce aufgeben? Dazu bin ich durch aus bereit. Kein Problem.«
    Sie sah mir noch einmal sehr lange ins Gesicht, und schließlich vertraute sie mir an, daß Vincent praktisch von morgens bis abends betrunken war.
    »Dann weißt du ja, was ich meine«, erwiderte ich. »Wie stehen die Chancen, an die richtige Per son zu geraten, eins zu wieviel? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit?«
    Ich kam eines Morgens in ihre Wohnung und überraschte ihn dabei, wie er mit einer Flasche Alkohol vor dem Fernseher saß. Er sah sich eine religiöse Sendung an.
    Ich schleppte ihn ohne allzu große Schwierig keiten ins Badezimmer, zog ihm den Trainingsanzug aus und stellte ihn mehrere Minuten lang unter die Dusche, nachdem

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