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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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der völlig rein und kristallklar war.
    Unter dem Himmel war die Wohnung meiner Mutter. Ich parkte genau gegenüber, rauchte eine Zigarette nach der anderen und schnipste die Stum mel in Richtung ihres Fensters. Drinnen brannte Licht, und ich sah Schatten vorübergleiten.
    Bis dahin hatte ich nie versucht herauszufinden, was sie tat. Ich hatte es mir zur Regel gemacht, keine Einzelheiten wissen zu wollen. Ich wußte, daß meine Mutter mit dem einen oder anderen Typen vögelte, aber für mich blieben das nur leere Worte. Ich ließ kein Bild an mein Auge dringen, nicht einmal das von aufblitzender Haut in der Dunkelheit.
    Aber an diesem Abend war alles anders. Es war die düstere Kehrseite der anderen Abende. Diesmal war er voller Bilder. Ich hatte fast den Eindruck, auf einer Website für Amateurpornos zu sein. Ich sah meine Mutter, die stöhnend auf dem Teppichboden hockte, ich sah Vincent, der sich in ihrem Rücken zu schaffen machte, doch den Schweiß tupfte ich mir von der Stirn. Es war eine schwüle, stickige Nacht. Meine Mutter hatte ihre Tür abgeschlossen, und es erforderte meine ganze Kraft, um dem Schock standzuhalten.
    Drei Wochen lang beobachtete ich sie, ohne etwas zu sagen, eine Zeit, in der ich Vincent nicht ein einziges Mal sah.
    Ihr Gesicht war zu einer Maske erstarrt. Sie konnte sehr verschlossen sein. Sie war eine zu- tiefst halsstarrige Frau, das lag in ihrer Natur. Sie hatte sich nie gehenlassen. Sie hatte meinem Vater die Stirn geboten. Und sogar wenn sie am liebsten geweint und sich aufs Bett geworfen hätte, um nicht mehr aufzustehen, hatte sie ihm hartnäckig widerstanden und sich ihre Verletzlichkeit nicht anmerken lassen, solange er noch im Haus war. Anschließend war dann alles anders. Anschließend mußte ich sie trösten, und dann tränkte sie mein Hemd mit ihrem Rotz und ihren Tränen, aber ihm gegenüber hielt sie durch.
    So wie sie jetzt mir gegenüber durchhielt, hart blieb. Ich hatte keine Ahnung, was in ihr vorging.
    Lili verbrachte ihre Ferien an einem See bei einer Frau, die mir zwar gewisse Probleme bereitete, aber so nett war, trotz ihrer beiden eigenen Kinder Lili aufzunehmen, wenn ich als alleinerziehender Vater, der sich bemühte, einer achtjährigen Tochter alles zu geben, was für ihr Wohlergehen nötig war, mal wieder nicht wußte, was ich in den Sommerferien mit ihr anfangen sollte.
    Der Sommer. Wenn der Sommer nahte, raufte ich mir die Haare. Was sollten wir bloß zwei Mo nate lang machen? Würde ich ihren Erwartungen gerecht werden, bei all dem, was ihr durch den Kopf ging, bei all ihren erstaunlichen Wünschen?
    Ich besuchte sie am Wochenende. Ich blieb im Haus, um mich um die Kinder zu kümmern, wäh rend Carole und ihr Mann Richard mit dem Kanu und einer vollständigen Angelausrüstung auf den See hinausfuhren.
    »Sie fällt uns überhaupt nicht zur Last«, sagte Carole zu mir, »ganz im Gegenteil, die Jungen freu en sich so, daß sie da ist.«
    Wir sahen zu, wie sie beim Einbruch der Dunkelheit am Ufer spielten, während Richard joggte, und ich muß zugeben, daß ich beruhigt war. Ich schluckte meine Schuldgefühle hinunter.
    Eines Morgens, als Carole sah, wie ich gedankenversunken auf der Terrasse saß, fragte sie mich, was mich bedrücke.
    »Er hat nicht einmal die Küche fertig gestri chen«, erwiderte ich ihr. »Und er war seit minde stens drei Tagen unrasiert.«
    Ich hatte ihr gerade von dem Besuch erzählt, den ich meiner Mutter am Abend zuvor abgestattet hat te, und von der Atmosphäre, die bei ihr herrschte. Das Unbehagen, das in der Wohnung förmlich zu spüren war. Der Eindruck, daß sich dort ein un sichtbarer Dschungel ausgebreitet hatte. Und mei ne Mutter mit ihrer statuenhaften Maske. Die halbe Flasche Martini Bianco, die wir zu dritt hinuntergegossen hatten, um das drückende Schweigen zu ertragen.
    »Komm doch ein paar Tage zu uns«, schlug sie mir vor. »Entspann dich ein bißchen. Laß sie doch sehen, wie sie zurechtkommen.«
    Richard fuhr regelmäßig hin und her, aber ich konnte mich nicht dazu aufraffen. Ich hatte kei ne Lust, die ohnehin schon komplizierte Situation noch komplizierter zu machen. Und außerdem war ich in Gedanken zu sehr mit den Abenteuern mei ner Mutter beschäftigt.
    Meine Eltern sind geschieden«, fuhr sie fort. »Habe ich dir das schon gesagt? Auf jeden Fall bin ich dem Himmel dankbar, daß ich mich nicht eingemischt habe. Laß sie doch sehen, wie sie zurechtkommen.«
    Sie schlug vor, wir könnten schwimmen gehen, aber ich

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