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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Ich konnte mir vorstellen, daß es ihr das Herz zerriß, als sie das sah. Diesen Typen in violetten Schuhen und Lili, die ihm die Arme um den Hals schlang.
    Anschließend traf ich ihn vor dem Bü ff et wie der und stellte fest, daß er schon ein paar Gläser Champagner geleert hatte.
    »Na, versuchst du, den Teufel mit dem Beelze bub auszutreiben?« fragte ich ihn.
    Seit dem Tod meines Vaters hatte meine Mutter kei ne einzige ernsthafte Beziehung gehabt. Ich erin nerte mich nur mit Mühe an ein paar dieser Typen, mit denen sie zusammengewesen war. In den zwanzig Jahren, seit mein Vater beerdigt war, hatte kein Mann eine echte Rolle in ihrem Leben gespielt.
    Drei Wochen später zog Vincent bei ihr ein.
    Es war schwer zu glauben, aber es war so. Da, wo sich die anderen regelmäßig die Zähne ausgebissen hatten, überwand Vincent das Hindernis auf die sanfte Tour.
    Das war ein erneuter Schock für mich. Meine Mutter teilte es mir mit entspannter Miene mit, als handle es sich um etwas ganz Selbstverständliches. Vor allem jetzt, wo er seine Stelle verloren hatte.
    »Ich kann die Miete für ihn bezahlen«, entgegne t e ich ihr. »lch kann mich darum kümmern, wenn das Problem darin liegt.«
    Sie nahm mich in den Arm, um mir zu sagen, ich sei ein guter Junge, aber sie sei überzeugt, daß sie durchaus ohne mich zurechtkämen. Wenn meine Mutter mich in den Arm nahm, war ich nicht mehr der gleiche. Ich war wie ein Mann, der in einem Rollstuhl herumgeschoben wird. Ich war fast vier zig, aber irgend etwas in mir war noch kindlich ge blieben.
    Und so verschwanden Dinge, die mir gehörten und die sie gewissenhaft aufbewahrt hatte, im Kel ler - unter anderem ein großes Porträt von mir, das aus der Zeit stammte, als ich im Slip für ein Herrenmagazin posierte und das alle unsere Umzüge überlebt hatte.
    »Dein Porträt, das war ich. Das war nicht deine Mutter«, erklärte mir Vincent.
    »Okay. Das ist nicht weiter schlimm.«
    »Aber das bist nicht du. Das ist irgendwie ... wie soll ich das erklären?«
    »Ich weiß. Ich weiß, was du meinst.«
    Er war dabei, die Küche neu zu streichen. Das war zwar nicht unbedingt nötig, aber ich ver- stand, was er zu tun versuchte.
    Er stieg von der Trittleiter, wischte sich die Hände ab und holte zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank. Es war ein ziemlich heißer Vormittag, man kriegte Durst.
    »Ich muß einen Job finden«, erklärte er und setz te eine besorgte Miene auf. »Und das, wo Millio nen von Typen arbeitslos sind. So ähnlich, als wolle man eine Nadel in einem Heuhaufen finden, so wie das aussieht. Und in der Zwischenzeit kriegt mein Selbstbewußtsein einen ordentlichen Knacks.«
    »Das ist keine Krankheit. Das hat inzwischen jeder mitgekriegt.«
    »Und trotzdem hat man das Gefühl, als wäre man ein Staubkorn. Als würde man mit Füßen getreten. Manchmal habe ich richtig Mühe, deiner Mutter in die Augen zu blicken.«
    Ich schlug ihm vor, die Pinsel zu reinigen, und lud ihn zum Mittagessen ein.
    »Es ist nicht immer leicht gewesen«, vertraute ich ihm an. »Ich habe sicher Fehler gemacht, aber wenigstens ist sie heil über die Runden gekommen. Ich habe aufgepaßt, daß ihr nichts passiert. Manchmal habe ich sie auf Händen getragen. Ich glaube nicht, daß man mir den Vorwurf machen kann, ich hätte mich nicht genug um sie gekümmert. Im ganzen gesehen, meine ich. Über die ganzen zwanzig Jahre. Es ist nicht immer leicht gewesen.«
    »Ich weiß genau, was du damit sagen willst.«
    »Ich hab nur eine Mutter. Eine andere hab ich nicht. Aber ich akzeptiere ihren Entschluß. Wenn sie sich für dich entschieden hat, dann hat sie bestimmt gute Gründe dafür. So sehe ich die Sache.«
    »Wir sind keine Kinder mehr, deine Mutter und ich. Das Schlimmste li egt hinter uns. Wir haben keine Lust mehr, uns in irgendwelche Geschichten zu stürzen.«
    In dieser Hinsicht war er zuversichtlich. Aber dann verdunkelte sich seine Miene, und er wurde nachdenklich, da ihm seine finanzielle Situation wieder in den Sinn kam.
    »In den achtziger Jahren hatte ich ein ganzes Jahr lang keine Arbeit. Und dabei war das noch in den Achtzigern. Du hä tt est mich nicht wiede r- e rkannt. Ich habe in der Kälte Schlange gestanden, um einen Teller Suppe zu bekommen. Ich glaube nicht, daß ich die Kraft habe, das noch einmal durchzuma chen.«
    Ich hatte tatsächlich schon festgestellt, daß er seinen Teller immer gewissenhaft aufaß. Und daß er während des Essens kaum sprach, zumindest solange sein Teller

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