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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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noch nicht leer war. Jedesmal wenn eine Firma Gewinn abwarf, wurden Tausende von Menschen auf die Straße gesetzt, und ganze Familien gingen zugrunde. Erstaunlicherweise war das ein Gesetz von fast mathematischer Stringenz.
    Wenn ich meine Mutter in der Buchhandlung wiedersah, brauchte ich sie gar nicht erst zu fragen, ob Vincent einen Job gefunden hatte: Die Antwort konnte man ihr an der Stirn ablesen. Ich versuchte nicht allzu aufdringlich zu wirken und ihr trotz dem mein Interesse an der Sache zu bekunden, was gar nicht so einfach war.
    In Wirklichkeit war sie in der Defensive. Ich blickte ihr fest in die Augen, aber sie zuckte nicht mit den Wimpern.
    »Sag mal, soll das ein Witz sein?« erklärte ich ihr eines Morgens. »Das kannst du mir doch wohl nicht antun, hm? Das darf doch wohl nicht sein.«
    »Was ist los? Wovon sprichst du?«
    »Stehen wir beide etwa nicht mehr auf derselben Seite? Machst du jetzt die Türen zwischen uns zu? Ist das deine Absicht?«
    »Ich verstehe nicht, wovon du sprichst.«
    Mich überkam in jenem Augenblick eine eigen tümliche Wut, die schmerzhaft und zugleich läh mend war. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß Corinne und Sandra die Szene hinten aus dem Laden beobachteten und sich nicht das geringste entgehen ließen. Sie konnten vermutlich die Wand sehen, die sich zwischen meiner Mutter und mir erhob.
    »Wenn du das nicht verstehst, dann eben nicht, ich habe nicht vor, es dir zu erklären«, sagte ich und holte tief Atem. »Aber das geht mir sehr nah. Das hätte ich mir nie von dir erwartet.«
    Ich schickte die beiden Mädels fort, bat sie, einen Kaffee zu trinken und ihren Hund auszuführen. Dann kümmerte ich mich um meine eigenen Angelegenheiten, ignorierte meine Mutter und ließ sie mit ihrer neuen Haltung allein.
    Die Entscheidung lag jetzt in ihrer Hand. Mehr konnte ich nicht tun. Ich begriff jetzt, warum manche Leute so traurige Bücher schrieben. Von den Dutzend Büchern, die wir herausgegeben hatten – und die Tatsache, daß wir nur Frauen verlegten, änderte nichts daran –, handelten elf von Verrat, Trennung, Mißerfolg und Tod – das zwölfte hatte ich aus verschiedenen Gründen nicht zu Ende lesen können.
    Ich sah genau, was das Leben für uns bereithielt.
    Meine Mutter blieb eine Stunde lang stumm. Ich nutzte die Zeit, um ein paar Schecks zu unterzeichnen, und tat so, als lese ich interessiert den Vertrag, den wir mit einer Frau abgeschlossen hatten, die den Vorschlag machte, die Männer zu sodomisie ren, um die Grundlage für einen neuen Pakt zwi schen den Geschlechtern zu legen. Ich hoffte, ein paar von den Büchern zu verkaufen.
    Als sie schließlich den Mund aufmachte, tat sie es, um mir zu sagen, daß sie zum Mittagessen gehe.
    Zum Glück hatte Odile nichts dagegen, mich an jenem Abend zu besuchen.
    Auch sie hatte Probleme - ihr Mann Boris lebte auf großem Fuß, er hatte die Klinik mit einer Hy pothek belastet und ihre Konten geleert, um sich ein Flugzeug zu kaufen -, so daß wir uns stumm in die Arme fielen. Mit wilder Leidenschaft. Um an nichts mehr zu denken.
    Später, beim Anblick ihrer zerrissenen Unterwäsche, stieß sie einen langen Seufzer aus.
    Gegen zwei Uhr morgens wollte sie sich ein Ta xi bestellen, aber ich fuhr sie heim.
    Sie wühlte in ihrer Handtasche, kümmerte sich nicht um mich. Die Bürgersteige waren fast men schenleer, die Straßen wirkten in der Dunkelheit alle gleich.
    »Wenn er sich eine Segeljacht gekauft hätte, das ginge ja noch«, seufzte sie. »Kannst du dir vorstel len, daß ich am Steuerknüppel eines Flugzeugs sitze? Kannst du dir vorstellen, daß ich meine Wo chenenden damit verbringe, ein Flugzeug zu steu ern? Ich sag dir, er ist total verrückt geworden. Und dein Geld? Hat er dir dein Geld zurückgezahlt?«
    Ich reagierte darauf mit einer vagen Geste.
    »Das habe ich doch gewußt«, sagte sie und verzog den Mund.
    Einen Augenblick musterte sie die Umgebung.
    »Seit zehn Jahren schwöre ich mir, daß ich ihn verlasse, und ich habe es immer noch nicht getan«, fuhr sie fort. »Im Grunde habe ich es nicht anders verdient. Das denkst du doch bestimmt.«
    »Nein, Odile. Ich bin nicht in der Stimmung, Vorwürfe zu machen. Nicht jetzt. Nein, Odile. Es gibt zu viele Dinge in meinem Leben, die mir uner klärlich bleiben. Warum sollte ich eine alte Freun din wie dich kritisieren?«
    »Weißt du, ich habe den Eindruck, als sei ich in einen Eimer mit Leim gesprungen.«
    Sie hatte recht.
    Trotz des schönen sommerlichen Sternenhim mels,

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