Reich der Schatten
wurde.«
»Stimmt. Aber Sie wissen, dass ich es nicht getan habe.«
»Sie wissen allerdings mehr darüber.«
»Jedenfalls genug, um zu wissen, dass Sie sich in Gefahr bringen, wenn Sie mir nicht vertrauen.«
»Sie haben mir bislang wenig Anlass gegeben, Ihnen zu vertrauen.«
»Warum geben Sie mir nicht wenigstens eine Chance? Vielleicht versteckt sich dieser Gedanke nur im Hinterkopf Ihres Künstlerhirns, vielleicht ist er auch stärker – aber ich glaube nicht, dass Sie wirklich denken, ich könnte Ihnen schaden. Aber abgesehen davon: Was, glauben Sie wohl, könnte ich Ihnen auf der Tanzfläche antun? Kommen Sie schon, sonst hält man uns am Ende noch für ungesellig. Trauen Sie sich einfach, tanzen Sie mit mir!«
Er ließ ihr keine andere Wahl. Er war schon aufgestanden und hatte sie an der Hand genommen.
Sein Griff war nicht fest und schon gar nicht brutal.
Und dennoch …
… wusste sie nicht, ob sie sich von ihm hätte losreißen können.
8
Die Zeit kurz vor dem Aufwachen, wenn die Macht sich spürbar machte, war köstlich.
Und genau in der Zeit hörte sie ihn.
Liebste …
Anfangs ganz leise gesprochen, wurden die Worte immer lauter. Erst ganz schwach, ein Traum, Fantasie, Sehnsucht, Verlangen. Und dann …
Ich kann dich spüren. Sprich mit mir, wo bist du?
Sie sehnte sich danach, ihm zu antworten, mit allen Fasern ihres Seins. Dass er in der Nähe war, dass es ihn noch gab, dass er irgendwo dort draußen war … Eine große Freude überkam sie, und sie antwortete ihm, ohne weiter nachzudenken.
Doch dann stockte sie.
Es gab noch etwas anderes dort draußen. Jemanden, ein anderes Wesen.
Und ihre nächste Antwort kam mit Bedacht, denn ihr anfänglicher Jubel war Hass und Entschlossenheit gewichen. Früher …
Aber das war lange her.
Sie atmete den süßen Duft uralter Erde ein und spürte, wie die Kraft des neuen Lebens, des neuen Blutes, in ihren Adern zirkulierte.
Ich werde dich finden …
Wieder erklang ihr Name, leise, sehnsuchtsvoll.
Doch dann setzte sich auch bei ihm die Einsicht durch, und es wurde still.
Sie konnten gefunden werden.
Ja, wir werden uns finden.
Sie schottete sich ab. Trotzdem …
Noch immer lag es in der Luft. Das Gefühl von Gefahr, großer Gefahr.
Um ihn herum gab es viele. Viele, die sich ihm angeschlossen hatten. Bei diesem Gedanken keimte wieder Verbitterung in ihr auf. Denn sie spürte, dass hinter ihm mehr steckte als nur die Kräfte, die ihr vertraut waren.
Sie erhob sich. Jetzt hatte sich die Dunkelheit herabgesenkt. Es war Nacht.
Und es war ihre Zeit, über die Welt zu herrschen.
Na ja, warum nicht klein anfangen? Sie musste nicht gleich über die Welt herrschen.
Paris reichte.
Ann amüsierte sich königlich.
Als sie auf der Tanzfläche stand, beschloss Tara lakonisch, dass Ann womöglich doch recht hatte: Vielleicht hatte sie in der letzten Nacht nur einen großen Schäferhund gesehen. Aber Paris und Umgebung steckten voller Wölfe.
Und alle schienen sich in dieser Bar zu tummeln.
Sobald sie zu tanzen begann, brauchte sie sich keine Sorgen mehr zu machen, Brent Malone zu nahe zu kommen. Sie wurden nämlich ständig von allen Seiten gegeneinandergeschubst, oft genug auch ziemlich heftig. Bei einer solchen Gelegenheit merkte sie, dass sie sich gründlich getäuscht hatte, als sie ihn für dünn oder drahtig gehalten hatte. Er war zwar schlank, aber er wirkte, als bestünde er nur aus Muskeln.
Egal, wie sehr sie sich auch bemühte, nicht daran zu denken – ständig ging ihr durch den Kopf, was ihre Cousine vorhin gefragt hatte: Ob sie noch nie jemand getroffen hätte, bei dem sie auf der Stelle ein Verlangen gespürt hätte, ob sie sich denn noch nie überlegt hätte …
Ja.
Ja, ja, ja! Beinahe hätte sie es laut herausgeschrien.
Es war jedes Mal ein sinnliches Erlebnis, wenn sie gegen ihn stieß, wenn seine Hände sie berührten, wenn sie seine Brust oder seine Oberschenkel spürte. Ihr war warm, sie begann zu schwitzen, heftig pulsierte das Blut durch ihre Adern, und die Farbe ihrer Wangen verriet ihre Gedanken.
Die Tanzenden schienen sich bestens zu amüsieren und wechselten ständig die Partner. Tara tanzte nicht sehr lange mit Brent, wahrscheinlich nicht länger als zwei Minuten oder sechzig Zusammenstöße, bevor er sie einem schnauzbärtigen Burschen überlassen musste, der sie an einen jungen blonden Mann weiterreichte.
Es gab ein munteres Wechselspiel. Mittendrin sah sie, wie ihr vorletzter Tanzpartner, ein Casanova mit smartem
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