Reich kann jeder
als etwas Selbstverständliches hinnehmen und nicht als etwas Besonderes preisen. Das Allerspießigste ist es, sich über den Wein zu unterhalten. Das ist so unbeholfen und zeigt, dass das für dich was Neues ist.«
»Was ist mit der neuesten Ausstellung?«
»Da fängt es an, gefährlich zu werden. Nur wenn du weißt, der andere ist ein Kunstliebhaber oder ein Musikliebhaber, kannst du das machen. Alles Bildungshuberische fällt in den Bereich: Kein Thema auswählen, was einen anderen ausschließt.«
Super! Ich freue mich im Stillen, dass ich nicht so viel über Kunst lernen muss.
»Was kommt denn besonders gut an?«
»Gute Anekdoten«, sagt er, »welche, die federleicht daherkommen, aber einfach sind. Die Absurdität, das Kuriose. Das zum Staunen, das Überraschende.« Möglichst zu versuchen, sich als dumm darzustellen, es aber nicht zu sein, das könne sehr witzig sein.
»Eigene Unfähigkeiten, Selbstironie: ganz groß! Über sich selber lachen, über sich selber absurde Geschichten erzählen: Darzustellen, wie blöd man selber ist, ist ein tolles Thema. Irgendeiner hat mal gesagt: Ich kann unmöglich auf meiner Uhr zwischen zehn nach zehn und zehn vor zwei unterscheiden.«
Anne: »Das kann ich auch nicht!«
»Sehr gut!«
»Muss die Geschichte, die ich erzähle, wahr sein?«, fragt Anne.
»Nein, gar nicht«, sagt er. »Ein ganz wichtiger italienischer Satz: Se non è vero, è ben trovato. Wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden.«
»Also würdest du uns raten: Üben, üben, üben, witzig zu sein?«
»Ja, ich bin davon überzeugt, dass man Witz üben kann.«
Davon ist er überzeugt.
»Jachten, Jagd, Polo, was ist damit?«, frage ich.
»Eine Jacht hat gefälligst schön zu sein. Sich damit auszukennen ist schon sehr nerdy.«
»Ist es wichtig, wenn man sich mit den Super-Wichtigen unterhalten will, dass man auf sie eingeht, sie kommen lässt?«, will Anne wissen.
»Nicht nur bei denen! Meine Mutter hat mir die Regel beigebracht: Du musst eine Putzfrau mit dem gleichen Respekt behandeln wie eine Königin. Egal, ob Kanzlerin oder Zugehfrau. Es wirkt sonst ungelassen. Jemanden abzusnobben wirkt ungelassen. Wenn du gelassen mit der Kanzlerin umgehst, wirkt das sehr souverän. Wenn du herablassend mit der Sekretärin oder mit der Putzfrau umgehst, wirkt das wahnsinnig unsouverän.«
Der Cointreau kommt. Ich will Zucker nehmen.
»Musst du nicht, probier’s mal ohne. Der Cointreau ist schon so süß.«
»Oh, ist der super«, lobt Anne. »Wie eine Praline.«
***
»Herrlich! Der fällt bestimmt schön!« Der Assistent schwärmt. Der Assistent von Putins Herrenausstatter hat uns in den Laden auf einen Rundgang mitgenommen, durch die russischen Herren- und Damenkollektionen, die Kinderkollektion, wir dürfen Probe sitzen in der Umkleide mit einem Bild an der Wand, auf dem sich eine Nackte selbst massiert. Wir sollen richtig heiß und wild werden auf unseren neuen Sponsor. Mode und Geschäft haben immer eine optimale Temperatur. Bestenfalls ist dann keiner nackig.
Der Assistent von Putins Herrenausstatter trägt Putins Herrenausstatter, Putins Herrenausstatter sitzt, auch am Bauch.
»Gute Anzüge haben einen Suchtfaktor. Wenn Sie keine Idealmaße haben, und plötzlich haben Sie welche«, schwärmt er und hält mir einen weißen Sommeranzug an. »Auf die Tiefe kommt es an, auf die Details.«
Anne lächelt, ich gucke interessiert.
»Eleganz können Sie ab einigen Hundert Euro erreichen«, sagt er. »Wenn Sie aussehen wollen wie eine Million Dollar, brauchen Sie gar nicht viel.«
Wir sind in eine große Vorführung geraten.
»Der Kunde, der hier reinkommt, gibt in der Regel zwischen 10 000 und 70 000 Euro aus.«
Wenn schon, denn schon, denke ich und sage: »Wirklich sehr, sehr elegant hier.«
»Besser als das Gum in Moskau.« Das hätte ihm besser gefallen – und er guckt auch so.
Dann sind wir durch, zurück bei einem kleinen Mann ohne Hals, den wir beim Reingehen beinahe übersehen hätten und der ganz offensichtlich oben auf uns gewartet hat. Er stellt sich vor, es ist Putins Herrenausstatter.
Oh.
Putins Herrenausstatter gibt uns zu verstehen, er habe wenig Zeit, es müsse schnell gehen, da sind wir auch schon in seinem Büro.
»Setzen Sie sich. Erklären Sie, was Sie da machen. Ich habe das gar nicht so genau gelesen.«
Anne referiert. Was für ein tolles Projekt, was für tolle Leute. Sie ist bester Dinge.
Er guckt so, als rede sie von einer Krankheit, hört weg und lümmelt.
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