Reich kann jeder
»Wir haben ein paar Jahrzehnte Mauerfall. Wir nennen uns einfach History Homes!«
Wir kaufen einen Lonely Planet für die billigen Momente, wenn wir alleine sind, und Sonnencreme gegen den Sonnenbrand. »Die erste Million ist die schwerste«, schreibt mir Anne um 1.42 Uhr per SMS. »Aber wenigstens sind wir auf dem Weg.«
***
Der Mann, der vor unserer Abreise noch kommt, um uns zu helfen, und der sich gleich zu uns an den Tisch setzen wird in dem Lokal, das er selber ausgesucht hat, weiß nicht, dass wir viel von ihm erwarten.
Graf Alexander von Schönburg, unser Smalltalk-Trainer.
Das Restaurant, in dem er uns treffen will, hat einen schönen Namen, der Name handelt vom Glück.
Die Notwendigkeit bestehe darin, die Personen als Person zu schätzen und interessant zu finden, sagt Schönburg gleich zu Beginn. Bilder findet er, immer mehr, eins nach dem anderen, wie gute Gespräche in der Gesellschaft verlaufen. Wie ein Fisch im Wasser müsse man schwimmen. Wie ein Schmetterling von Blume zu Blume müsse man in einer vornehmen Runde von Gespräch zu Gespräch flattern.
Es sei wie mit dem Geigespielen. Man könne es lernen.
Aber würden wir das noch schaffen?
»Das Gute ist, wenn du dich im gesellschaftlichen Kontext bewegst, wo die Leute deine Regeln beherrschen«, sagt er, »wird dich nie jemand länger als die notwendigsten Minuten im Beschlag halten.«
»Das zu können ist echt nicht leicht«, sage ich.
»Echt nicht leicht«, sagt er.
Der Chef des Restaurants, das kaum mehr als drei Tische hat, steht im Türrahmen, er kennt Schönburg, er ist stolz auf seinen prominenten Gast.
Es beruhigt mich, dass Schönburg mir immer zustimmt und »vollkommen richtig« sagt, wenn ich etwas sage. Ich könnte ihm sogar von meinem ersten Wellensittich erzählen, den ich als Kind hatte, und er würde sagen: »Interessant« oder: »Sehr interessant!«
Er macht Spiele mit der Geschwindigkeit. Wenn er von Langeweile redet, wird seine Stimme langsam, wenn er von Tempo erzählt, wird seine Stimme schnell.
Fast immer kräuselt und weitet sich seine Stirn. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der Lammfrikadellen, Blutwurst mit Apfelstückchen, Büffelmozzarella, Pecorino mit Datteln und Maultaschen mit Kartoffelsalat mit so viel Hingabe und Gesichtseinsatz bestellt wie er.
Wenn es an der Côte Büffelmozzarella gibt, werde ich es genauso machen.
»Ist gute Konversation Schauspielerei?«, frage ich ihn.
»Ja, absolut. Gute Konversation ist natürlich auch Schauspielerei. Du spielst eine Show für den anderen, um ihn zu unterhalten.«
Eine Show!
Er führt das aus.
»Wenn du wie viele meiner Vorfahren immer im Salon sitzt, wirst du automatisch so konditioniert sein, dass es dir möglichst wenig zur Last fällt, das Rumsitzen und Reden. Dann machst du es den anderen so angenehm wie möglich. Dazu gehört auch, witzig zu sein und jemandem, der nicht witzig ist, nicht das Gefühl zu geben, dass er nicht witzig ist. Sonst störst du die Atmosphäre, wird alles mühselig.«
»Dann los«, sage ich. »Lass uns das bitte mal üben.«
»Sehr gut. Gern.«
»Das Wetter. Heute ist es aber heiß.«
»Ein klassisches gutes Konversationsthema«, befindet er gelangweilt. »Es schließt niemanden aus, jeder kann mitreden. Ist natürlich nicht sehr geistreich. Wird oft als Beispiel angeführt, weil selbst der Dümmste dazu was zu sagen hat.«
»Erzähle ich dann besser eine Geschichte zum Wetter?«, fragt Anne und stellt sich vor, wie sie abends an der Côte d’Azur erzählt, dass sie sich am Strand in der Mittagshitze kurz abkühlen musste.
»Idealerweise!«
»Aber nicht, dass ich schwitze, das sage ich besser nicht …«
»Nee, aber ein bisschen eine Anekdote kommt ganz gut.«
»Der Taxifahrer, der geschwitzt hat, vielleicht?«, schlage ich vor.
»Vielleicht.«
»Wie sieht es aus mit Politik als Thema?«
»Politik ist out.«
»Geld?«
»Out.«
»Gott?«
»Out.«
»Die tote Mutti. Meine Mutti ist gestorben, ich bin so traurig …«
»Überhaupt nicht gefragt. Natürlich nicht.«
»Zu persönlich?«
»Zu persönlich!«
Der Kellner kommt noch mal mit der Karte.
Der Graf fragt: »Wollen wir uns Süßigkeiten teilen? Nehmen wir zwei Süßigkeiten, die wir uns teilen?«
»Suchen Sie für uns aus?«, bittet er den Kellner. Wir bestellen oder der Kellner bestellt für uns, wir nehmen Schokotörtchen und Zwetschgen an Amaretto-Mousse.
»Was ist mit Essen, darf man da was sagen?«
»Ein absolutes Out! Man muss Qualität
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