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Reich kann jeder

Reich kann jeder

Titel: Reich kann jeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Anne; Rentzow Nürnberger , Anne Nürnberger , Jan Rentzow
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Anschreiben? Will er kontrollieren, ob ich schreiben kann?
    »Nein!«
    »Es ist ja ein bisschen schwierig bei Ihnen«, erregt er sich.
    Du Idiot, es könnte ganz einfach sein, denke ich. Ich könnte froh sein, du könntest froh sein. Du könntest dir ein neues kurzes Hemd kaufen. Oder einen Rasierer für deinen Schnauzer.
    Ich gucke in den Raum. Die kahlen Wände. Wenn ich doch wenigstens mal für zwei Minuten zu Wort kommen würde. Wenn ich doch nur die Chance hätte, seine Sympathien zu erobern. Aber es geht nicht. Ich komme nicht an ihn ran.
    Er ist ein Eisblock. Ich will hier raus.
    »Neue Kontakte. Bei dem Training können Sie neue Kontakte knüpfen.«
    »Eine Vorgabe für die Anzahl Ihrer Bewerbungen gebe ich Ihnen erst mal nicht«, sagt er. »Sie sagen ja, dass Sie es über Ihre Freunde, Bekannten, Kollegen versuchen wollen.«
    Ich müsse initiativ werden, die Zeit laufe uns ein wenig weg.
    Er zeigt mir ein Schaubild mit grün und rot. Grün sind Chancen, rot sind keine. Es ist alles rot.
    Er macht eine neue Datei auf, kopiert einen Vortext in ein anderes Formular, druckt es aus, steht auf, kommt zu mir rüber, damit ich unterschreibe. Er ist gleich durch mit mir, schaltet schon ab im Kopf.
    Er drückt mir noch etwas in die Hand, meine »Eingliederungsvereinbarung«, wie wir es gemeinsam schaffen, dass ich wieder in Arbeit komme. Er rät mir zur Lektüre von Anzeigen in den Zeitungen, aber nur von geeigneten, ich solle das Internet nutzen, die Stellenbörse der Agentur. Mein Profil ausfüllen. Ja, und eine Liste mit Homepages, die schicke er mir auch, die Jobbörsen aus dem Internet.
    Er suche mal eben einen neuen Termin für mich raus, sagt er. In drei Monaten. Damit ich ihm dann von »unseren vereinbarten Aktivitäten« Bericht erstatte.
    »Wieder gleich um acht Uhr? Oder lieber erst viertel vor zehn?«
    »Acht Uhr«, sage ich und denke: »Drei Monate!«
    Acht Uhr gefällt ihm. Um diese Zeit seien sonst noch gar nicht alle fit. Er schiebt seinen Stuhl zurück, steht auf.
    Wer hier nicht rauswill, bleibt immer hier, denke ich.
    Letzte Chance, wir stehen schon, ich bin schon fast am Rausgehen. Er guckt mich an, ich gucke ihn an, von oben leicht schief auf ihn runter. Jetzt, jetzt, jetzt!
    Jetzt direkt, denke ich. So klar es geht!
    »Ich dachte, ich könnte Sie bestechen«, sage ich. »Ich gebe Ihnen Geld«, sage ich. »Sie geben mir einen Job …«
    Ich schaue ihm in die Augen. Hat er mich jetzt verstanden? Er hat! Er sieht auf den Boden, holt Luft, als überlege er. Habe ich ihn? Ich habe ihn!
    »Wir kriegen unser Gehalt aus der Gemeinschaft der Arbeitslosenversicherung«, wiederholt er. »Sie können sich natürlich auch einen privaten Arbeitsvermittler suchen. Der kostet 2000 Euro …«
    Kein Lächeln mehr, Eis.
    »Tschüss!«
    »Auf Wiedersehen!«
    Nach 37 Minuten.
    Ich stehe im Flur, nehme den Notausgang. Hier kriegt keiner was, hier verdient keiner was, denke ich. Ich fühle mich so traurig, ich weiß nicht, ob mein Leben noch Leben ist oder nur noch Stückwerk. Morgen melde ich mich ab.
    ***
    Am Tag darauf – ich liege noch im Bett – kriege ich einen strengen Anruf direkt aus der Führungsspitze der Berliner Agentur für Arbeit.
    »Ihr Jobvermittler war ein wenig irritiert«, sagt eine Stimme in der Leitung. »Sie hätten da so einen Schlenker gemacht …«
    Ich: »Ja, aber es ist ja nichts passiert.«
    »Wenn er darauf reagiert hätte, hätte er gezeigt, dass er es gemerkt hat.«
    Die Stimme wird bedrohlich.
    »Dann hätte er die Polizei rufen müssen. Er hätte das Gespräch beendet, die Polizei geholt. Wenn Sie auf Ihrem Angebot beharrt hätten, hätte er die Polizei geholt.«
    »Musste er ja nicht.«
    »Nein.«
    »In dem Moment, in dem das durch Überhören nicht erledigt ist, müssen wir die Flucht nach vorne antreten, die Polizei einschalten …«
    Vier Mal Polizei in 40 Sekunden.
    Die Stimme will nicht sagen, wie oft auf dem Arbeitsamt bestochen wird. Ich weiß jetzt: Es hat nicht viel gefehlt, und mein Jobvermittler hätte die Polizei geholt.
    Hat er aber nicht.
    Die Sonne brennt. Nächste Woche fahren wir nach Saint-Tropez. Ich sollte schon mal die Tasche packen und alles Wichtige rauslegen.
    Die Küste ist Sex, stand in der Zeitung. Alles sei da Sex. Vielleicht packe ich schon mal ein paar Kondome in den Kulturbeutel.
    ***
    Anne hat ein bisschen Angst, dass ihr Großer immer materialistischer wird. Er will endlich mithelfen beim Geldverdienen. Auf ihrem Schreibtisch liegt sein neuestes

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