Reich und tot
dazu gehabt hätte, schon. Was allerdings ein bisschen schwierig ist, wenn die Hauptgeschädigten nicht mitspielen wollen. Ich hätte die Sache auf jeden Fall noch der Einheit für häusliche Gewalt gemeldet. Nur ... nur, dass es dafür jetzt wohl etwas spät ist.«
Ogdens Selbstsicherheit schwand in dem Moment, als ihm der offensichtliche Gedanke kam.
»Meinen Sie, ich hätte . . .«
Jacobson wischte sich etwas Eigelb aus dem Mundwinkel.
»Was? Einen ehrbaren Bürger mitten in der Nacht aufschrecken sollen, um zu sehen, ob er seine Frau würgt? Nein, nein, alter Junge. Sicher nicht. Sie haben getan, was Ihr Job verlangt. Wir werden nicht dafür bezahlt, gleichzeitig auch noch Hellseher zu sein.«
Ogden schrieb sorgfältig Namen und Adressen in Jacobsons Notizbuch, während der seinen Teller wegbrachte. Jacobsons Handy klingelte: Es war Robinson aus der Pathologie.
»Wir bereiten gerade alles für die Autopsie vor, Inspector. Ich habe mir die Tote aber schon etwas genauer angesehen und klare Beweise dafür gefunden, dass sie während der letzten zwölf Stunden Geschlechtsverkehr hatte. Ich dachte, das würde Sie interessieren.«
Jacobson spürte ein Verharren am anderen Ende der Leitung, vielleicht ein leichtes Erröten.
»Sie wurde vergewaltigt?«
»Vielleicht. Allerdings hat sie so viele Prellungen am ganzen Körper, dass man das womöglich niemals mit Bestimmtheit wird sagen können. Rau ist es auf jeden Fall zugegangen. Anal und vaginal. Die Hauptsache für uns ist natürlich der Samen, über den sollten wir ein volles DN A-Profil bekommen. Das dürfte kein Problem sein.«
Jacobson dankte ihm und dankte auch Ogden. Er verließ die Kantine in einem Tempo, das für seinen vollen Magen beachtlich war, und rief von seinem Büro aus Kerr und den für den Polizeigewahrsam zuständigen Sergeant an. Kerr hatte Mortimer in den ärztlichen Untersuchungsraum gebracht, ihm weisgemacht, die Untersuchung sei reine Routine und nur zu seinem Besten, und wartete jetzt auf die Einschätzung des Arztes. Ursprünglich hatte Jacobson ihn dort auch gleich befragen und die ganze Sache möglichst lange locker halten wollen.Was er jedoch von PC Ogden und Robinson gehört hatte, ließ ihn seinen Plan ändern. Jetzt wollte er Mortimer
vor
der Befragung auf seine Rechte hinweisen und alles, was gesagt wurde, von Beginn an aufzeichnen. Er sah, dass ein weiterer Stapel Papierkram in seinem Eingangskorb gelandet war, während er oben in der Kantine mit Ogden gesprochen hatte. Nun, das alles konnte warten. Alle, selbst die Bürokraten in den höheren Gefilden mussten zustimmen, dass eine Morduntersuchung allererste Priorität genoss. Ganz oben auf dem Stapel lag eine kleine Karte mit goldgeprägtem Rand.
»Greg und Christine Salter laden Sie herzlich zu ihrer Wohnungseinweihung . . .«
Noch ein lästiges Problem, das sich überraschend in Wohlgefallen auflöste: Schließlich konnte wohl kaum von ihm erwartet werden, dass er gesellig sein Glas hob, während ein Mörder frei herumlief. Schwungvoll ließ er die Karte in den Papierkorb segeln, bevor er sein Büro wieder verließ.
Bis Kerr ihn in den Befragungsraum schob und Jacobson ihm seine Rechte vorlas, wie es der
Police and Criminal Evidence Act
vorschrieb, hätte Gus Mortimer vom Recht eines jeden Bürgers Gebrauch machen und das Präsidium durch die Drehtür des Haupteingangs verlassen können. Doch dafür war es jetzt zu spät: Jetzt konnte er ohne Anklage vierundzwanzig Stunden festgehalten werden, während Jacobson und seine Leute ihre Untersuchung vorantrieben, und dann noch weitere zwölf Stunden, wenn Detective Chief Superintendent Chivers dem zustimmte.
»Ich kann also meinen Anwalt anrufen?«, fragte Mortimer.
Seine Stimme klang fast wieder menschlich. Als lösten sich seine Gedanken langsam aus ihrer Erstarrung. Jacobson zog seinen Stuhl näher heran, stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte das Kinn einen Moment lang in die linke Hand, bevor er antwortete.
»Im Falle eines ernsten, mit einer Gefängnisstrafe von über fünf Jahren zu bestrafenden Vergehens wie Mord kann ich meinen Vorgesetzten bitten, den Kontakt mit einem Anwalt für sechsunddreißig Stunden auszusetzen, falls ich denke, die Situation erfordert es.«
»Und denken Sie das?«
Jacobson ging auf seine Frage nicht ein.
»Lassen Sie uns das schnell klären, Mr Mortimer. Sie sind um halb acht heute Morgen von zu Hause zur Arbeit gefahren. Sie haben nichts Ungewöhnliches bemerkt und Ihre
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