Reiche dem Tod nie die Hand (German Edition)
Tochter das Büro.
Sprachlos sass er an seinem Schreibtisch und dachte nach. Am liebsten wäre er aufgestanden und in das Schreibbüro gestürzt, um Susanne einmal richtig zu schütteln und anzuschreien, sozusagen vor versammelter Mannschaft.
Er verteidigte grundsätzlich keine Sexual-straftäter, nicht für alles Geld der Welt. Diese Art von Verbrechen widerten ihn masslos an und damit auch diejenigen Personen, die mit derartigen Taten in Zusammenhang gebracht wurden. Ihm leuchtete nicht ein, warum Susanne ausgerechnet ihren Vater zu ihm geschickt hatte, wissend wie er über diese Straftaten dachte.
Ihm selber war unklar, warum er diese strikte Abneigung gegen derartige Verdächtige hatte, denn bei Mördern, Entführern, Drogendealer etc. hatte er keinerlei Probleme, ein Mandat zu über-nehmen. Ausgerechnet diese Spezies von mut-masslichen Tätern liess in ihm den Kommunions-kaffee hochkommen.
Es verging etwas Zeit, so dass er sich beruhigte und einredete, das Mandat nicht eigentlich über-nommen zu haben, sondern, rein informativ, Einsicht in die Akten nehmen werde und dann zu entscheiden hatte, welchem Kollegen er den Vater seiner Mitarbeiterin anempfehlen konnte.
Manchmal bewunderte er seinen Sozius aus der Familienrechtsabteilung, der sich vornehmlich mit Scheidungen beschäftigte.
Er paukte die begehrten Trennungen oft mit wenig Arbeit durch, vereinnahmte ein beacht-liches Honorar, da die Gerichte die Streitwerte bei Scheidungen grosszügig bemassen, so dass sich sein Honorar entsprechend berechnete und musste sich nicht mit derartig quälenden Geschichten herumschlagen.
Selbstverständlich waren auch Scheidungen, ab und zu, problematisch und es war dann das Verhandlungsgeschick eines guten Juristen gefragt. Aber die eigentlichen Auseinander-setzungen fanden aussergerichtlich statt und wurden meistens einvernehmlich geregelt, so dass man zum eigentlichen Scheidungstermin vor Gericht nur noch die Kutte überzog, ein feierliches Gesicht aufsetzte und auf die Streitwertbestimmung des Gerichts wartete, die meistens, wohlwollend, im Sinne der Anwälte, festgesetzt wurde.
Auf der anderen Seite erforderte die Arbeit als Scheidungsanwalt auch ein stabiles Nerven-kostüm.
Hysterisch wirkende Ehepartner versuchen, den Verlauf ihrer kaputten Ehe schönzureden, oder ihren ehemaligen Lebenspartner zu dis-kreditieren und andere ignorieren einfach, dass der ehemals gefasste Plan, ein gemeinsames Leben aufzubauen, schlichtweg gescheitert war, so dass man manchmal mit Engelszungen auf die Leute einreden muss, dass sie zur Vernunft kommen, einer vernünftigen Regelung zuzustim-men und ihren Hass zurückstellen.
In der Kanzlei war bereits aufgefallen, dass die Scheidungsabteilung auffällig viele Spirituosen orderte. Das lag daran, dass sich scheidungs-willige Mandanten meistens bei ihren anwalt-lichen Besprechungen mit Whisky oder Cognac stärkten, wobei der zuhörende Anwalt mittrank. Der Alkoholkonsum der Abteilung war kein Problem, doch feixte man allerseits darüber, dass der Erfolg der Familienrechtsabteilung eben darin liege, dass sämtliche Mandanten, voll-trunken, alle Vereinbarungen unterzeichneten, die ihnen vorgelegt würden.
Wenn Oliver manchmal Abends in das Büro seines Freundes und Partners ging, um eine Zigarette zu schnorren, oder um einfach ein paar Worte zu wechseln, hatte er den Eindruck, eine Kneipe zu betreten.
Die Luft des Arbeitszimmers war oft mit Qualm und Alkoholgeruch durchzogen und sein Kollege wirkte ausgebrannt.
In diesen Momenten fragte er sich, wie man eigentlich diesem ständigen Druck standhalten konnte, ohne die Kontrolle zu verlieren und trotzdem ein guter Anwalt zu sein, wobei er das Gefühl hatte, dass sein Freund Harald auch deshalb ein gefragter Jurist war, eben weil er sich zeitweise betrank.
Sein Freund war äusserst beliebt bei den Mandanten, weil er seinen Beruf liebte und mit dem Herzen dabei war und, in diesem Punkt, waren sie sich sehr ähnlich.
Beide konnten sie sich in die Lage ihrer Mandanten hineinversetzen und fühlten sich nicht selten vom Schicksal ihrer Mandanten persönlich betroffen, wobei sie ihre juristischen Fachkenntnisse und die Schlitzohrigkeit nicht vergassen, die schliesslich das Optimum für ihre Klienten erbrachte.
Oliver fühlte er sich elend. Nicht nur, dass er eine widerliche Sexualstraftat verteidigen sollte, dazu kam noch, dass der Beschuldigte ausgerech-net der Vater seiner engsten Mitarbeiterin war. Er ging sofort in die
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