Reid 2 Die ungehorsame Braut
ein Kriterium, das mir bei einem Mann wichtig ist. Und das ist nicht sein Titel. Es ist der Maßstab meines Vaters, nicht der meine.«
»Wie lauten denn Ihre Kriterien?«
»Ich kann mir kaum vorstellen, dass diese Information wichtig ist, damit Sie Ihr Ziel erreichen.«
»Nein, aber Sie haben meine Neugierde geweckt.«
»Das ist dann Ihr Problem«, entgegnete sie mit einem süffisanten Lächeln.
Kapitel dreizehn
W ie wäre es mit einem weiteren Unterrock?«, fragte Sadie.
»Ich habe vorhin die Nase zur Tür hinausgestreckt. Heute Morgen ist es kälter, als ich vermutet hätte.«
»Warst du jemals so weit im Norden? Ich nicht, aber mir kommt es auch so vor, als wäre es hier um Längen kälter, als ich es gewohnt bin. Außerdem trage ich bereits drei Unterröcke«, beschwerte Ophelia sich.
»Haben Sie die Wollstrumpfhose gefunden, die ich Ihnen herausgelegt habe?«
»Ja, und jetzt hör auf, mich zu nerven.«
»Ich wünschte, wir hätten daran gedacht, Ihre Reitstiefel mitzunehmen. Die bringen Ihre Unterschenkel besser zur Geltung als die niedrigen Reisestiefel.«
Ophelia musste kichern. »Wir hätten gar keinen Platz für die Stiefel gehabt. Und jetzt hör bitte endlich auf, dir Sorgen zu machen. Das dicke Samtkleid und mein Mantel werden mich schon warm halten. Außerdem mache ich ja nur einen kurzen Spaziergang. Wenn mir zu kalt wird, komme ich sofort wieder herein, das verspreche ich dir.«
Wenige Minuten später hastete Ophelia die Treppe herunter. Sie trug wieder den puderblauen Mantel und die dazu passende Mütze sowie einen Pelzmuff, der an einer Kordel am Handgelenk festgebunden war, damit sie ihn nicht verlor. Da der Tag noch recht jung war, hoffte sie, Raphael nicht zu begegnen. Es reichte, wenn sie am Nachmittag damit weitermachten, ihr angebliches Sündenregister durchzukauen. Der vergangene Abend war schmerzhaft genug gewesen. Sie schätzte es nicht, an ihre Verfehlungen erinnert zu werden. Derer gab es nicht viele, aber jene, mit denen sie sich herumschlagen musste, stimmten sie traurig, und sie mochte es nicht, traurig zu sein. War es das, was er sich von alledem erhoffte? Dass sie traurig und unglücklich war und - voilà - zu einem anderen Menschen wurde? Sie prustete innerlich.
Es war verwunderlich, aber der erste Vorstoß in ihre angebliche Boshaftigkeit war gar nicht so schlimm gewesen, wie sie befürchtet hatte. Sie hatte entschieden, Raphael gegenüber aufrichtig zu sein. Etwas, das sie nicht immer und nicht für jeden tat. Es handelte sich um eine Gewohnheit, die sie von ihren »Freunden« kopiert hatte. Ständig hatten sie ihr nach dem Mund geredet und nur das gesagt, von dem sie dachten , dass sie es hören wollte. Davon abgesehen, wäre sie je ehrlich zu ihnen gewesen, hätten sie sich derart auf die Füße getreten gefühlt, dass sie sich für immer von ihr abgewandt hätten. Schon seit langem war ihr klar, dass es besser war, falsche Freunde zu haben, als gar keine.
Dennoch war sie sich nicht sicher, warum sie Raphael gegenüber ehrlich war. Vielleicht, weil er mit besonderer Scharfsinnigkeit gesegnet war. Vermutlich würde er sie ohnehin durchschauen, wenn sie ihm eine Lüge auftischte.
Als Ophelia nach draußen trat, merkte sie, dass Sadie recht gehabt hatte. Es herrschte eine leichte Brise, die sich wie viele kleine Nadeln in die Haut bohrte. Bei Sonnenschein wäre ihr das vielleicht nicht aufgefallen, doch es war weit und breit keine Sonne zu sehen. Sie versteckte sich hinter einer dicken Wolkenwand, die auf weiteren Schnee hoffen ließ.
Mit düsterem Blick registrierte Ophelia, dass jemand bereits eine Schneise zwischen Stallungen und Haus geschaufelt hatte. Faul war der Verwalter immerhin nicht. Ophelia ließ die Hände in den Muff gleiten und bahnte sich vorsichtig ihren Weg durch den unberührten Schnee, links am Haus vorbei, von wo aus sich ihr ein atemberaubender Blick bot.
An dieser Seite des Hauses, an der sich das Speisezimmer und der Salon befanden, gab es keine Nebengebäude, sondern nur eine Reihe von winterkahlen Bäumen, die in Weiß eingehüllt gleich um ein Vielfaches ästhetischer wirkten. Hier und da wuchsen immergrüne Gebüsche und Bäume, deren Äste sich unter der weißen Last bogen.
Mit einem breiten Lächeln betrachtete Ophelia die ringförmig angeordneten Fußspuren, die sie hinterlassen hatte. Verträumt dreinblickend blieb sie stehen und ließ den Blick über die sanft geschwungenen Hügel schweifen, denen der Winter ein weißes Kleid
Weitere Kostenlose Bücher