Reid 2 Die ungehorsame Braut
angezogen hatte.
Sie tat einen tiefen Atemzug und ließ langsam die kalte Luft entweichen, als etwas sie am Rücken traf. In der Erwartung, einen entkräfteten Vogel am Boden liegen zu sehen, fuhr sie herum - und erblickte Raphael, der einen Schneeball formte.
Ophelia starrte ihn mit offenem Mund an. Der schelmische Ausdruck auf seinem Gesicht sprach Bände. Allein die Idee, sie mit einem Schneeball zu bewerfen... Wie kindisch!
»Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?«, rief sie, ehe sie einen spitzen Schrei ausstieß, weil der zweite Schneeklumpen dicht an ihrem Kopf vorbeiflog.
Wütend und von dem Bedürfnis getrieben, es ihm heimzuzahlen, ging Ophelia hinter dem nächsten Busch in Deckung. Schnell schüttelte sie den Muff ab und nahm sich eine Handvoll Schnee, den sie fest zusammendrückte, ehe sie sich aufrichtete, ihn warf... und Raphael am Mantel traf! Ophelia stieß ein beschwingtes Johlen aus, nur um im nächsten Moment ebenfalls getroffen zu werden. Schnaufend ging sie abermals in die Hocke. Eines musste sie ihm lassen: Zielen konnte er! Aber sie hatte ihm ja auch schon bewiesen, dass sie keine schlechte Werferin war. Außerdem war da noch der Busch, hinter dem sie Schutz gesucht hatte, während ihr Kontrahent ihr schutzlos ausgeliefert war.
Aufgeregt schoss sie nach oben, um ihren zweiten Ball auf Reisen zu schicken. Aber Raphael hatte nur darauf gewartet, dass sie sich wieder zeigte. Sein dritter Angriff kostete sie die Mütze. Vielleicht war es doch keine so brillante Idee, sich hinter einem Busch zu verstecken, weil sie dann nicht sehen konnte, was er in der Zwischenzeit ausheckte. Ophelia entschied, die Deckung zu verlassen und es mit Weglaufen zu probieren.
Sie lugte über den Busch, duckte sich unter dem nächsten Geschoss hindurch, sprang in die Höhe, ging zum Gegenangriff über - und nahm die Beine in die Hand. Sie lief, so schnell sie konnte. Schlingernd und schlitternd kam sie mehr schlecht als recht vorwärts. Doch die ganze Zeit über lachte sie.
Ophelia spürte, wie sie zwei weitere Male im Rücken getroffen wurde, ehe sie ihn rufen hörte: »Sie Hasenfuß!«
Sie drehte sich um und warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. »Kommen Sie doch näher, vorausgesetzt, Sie trauen sich«, spöttelte sie zurück.
»Und ob ich mich traue.« Gesagt, getan, im nächsten Augenblick lief er ihr hinterher. Flink formte Ophelia einen weiteren Schneeball und schleuderte ihn in seine Richtung, ehe sie weiterlief - allerdings erst, nachdem sie voller Freude gesehen hatte, dass sie ihn an der Schläfe getroffen hatte. Mit einem munteren Lachen ging sie in die Hocke, um das nächste Wurfgeschoss zu formen. Als sie feststellte, dass ihr Gegner die Gelegenheit nutzte, die Entfernung zwischen ihnen zu verringern, und ihr mit einem Mal bedrohlich nahe war, quietschte sie. Warum musste er auch so verflucht lange Beine haben?
Ophelia wollte flüchten, doch Raphael setzte zu einem Hechtsprung auf sie an. Gemeinsam gingen sie zu Boden und schlitterten noch einige Ellen über den Schnee. Ophelia keuchte vor lauter Ausgelassenheit.
Der Kuss kam so unerwartet, dass es einige Momente dauerte, bis Ophelia merkte, was geschehen war... dass seine Lippen die ihren wärmten. Auf Bestürzung folgte Entrüstung und dann Entspannung. Es fühlte sich gar nicht so furchtbar an.
Genauso wenig wie der behagliche Schauer, der von ihrem Körper Besitz ergriff. Ihr war, als flögen kleine Marienkäfer aufgeregt in ihrem Bauch herum, ein Gefühl, das sie bis dahin noch nie zuvor erlebt hatte.
Wie von selbst legten sich ihre Arme um seine Schultern. Vergessen war die Kälte, so sehr wärmte Raphaels Körper sie, und der Dampf ihres vereinten Odems fuhr über ihr Antlitz. Als seine Lippen in verführerischer Weise über die ihren glitten, war ihr, als verglühe sie von innen heraus. Ihre Brüste zogen sich zusammen, wurden von einem heißen Prickeln erfasst. Ihre Zehen verkrampften sich, ihr Puls raste. Als Raphael, der vollkommen in dem lodernden Kuss aufging, ihr die Finger in den Nacken legte, wurde Ophelia abrupt in die Gegenwart zurückgeholt, und ihre Entrüstung gewann die Oberhand. Sogleich schob sie ihn von sich, rappelte sich unbeholfen hoch und klopfte sich, so gut es ging, den Schnee vom Samtmantel.
»Also habe ich doch mit meiner Vermutung recht, warum Sie mich entführt haben«, fuhr sie ihn an. »Sie hätten mich ebenso gut fragen können, ob ich Sie heiraten möchte. Die Zustimmung meiner Eltern wäre Ihnen
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