Reid 2 Die ungehorsame Braut
und gesellte sich zu ihr.
Ophelia erschrak nicht, vermutlich hatte sie ihn kommen gehört.
Raphael entgingen weder das Seufzen noch der verzweifelte Unterton, als sie sagte: »O ja, das bin ich.«
Schuldgefühle! Sie stiegen in ihm auf und schnürten ihm fast die Kehle zu, als sie mit hängenden Schultern zum Sofa ging. Aber warum sollte er sich schuldig fühlen? Nur weil er ihr half? Sie war diejenige, die von seinen Bemühungen profitierte, nicht er - das heißt, er würde seine Wette mit Duncan gewinnen, aber das war nicht mehr so wichtig, nicht, seitdem er festgestellt hatte, dass es ihm ein inneres Bedürfnis war, ihr zu helfen. Etwas hatte sie zu derjenigen werden lassen, die sie heute war, und vielleicht sollte er in seinen Plan einbeziehen, diesen verborgenen Grund offenzulegen.
Als er sich neben sie auf das Sofa setzte, rutschte Ophelia von ihm ab. »Ich beiße nicht, müssen Sie wissen«, sagte er leicht gereizt.
»Da bin ich mir nicht so sicher«, antwortete sie patzig und goss sich eine Tasse Tee ein. Die Kekse, die auf dem Tablett vor ihr lagen, würdigte sie keines Blickes.
»Ich nehme auch eine Tasse.« »Dann schenken Sie sich gefälligst selbst ein«, kam die herablassende Antwort.
Na prima. Eine verzweifelte Ophelia war genauso schlimm wie eine in Tränen aufgelöste.
Raphael blieb nichts anderes übrig, als sich selbst eine Tasse einzuschenken. »Sie sollten unbedingt von dem Gebäck kosten«, meinte er. »Sie sind ohnehin zu mager.«
Jetzt konnte Ophelia, die ihn geflissentlich ignoriert hatte, nicht mehr anders und riss den Kopf herum. »Das bin ich nicht!«
»Doch, und außerdem viel zu blass«, setzte er noch einen obendrauf. »Ihre Haut hat gar keine Farbe.«
»So soll es auch sein.«
»Und ich dachte, Sie wollten das Beste aus sich machen.«
»An meinem Äußeren gibt es nichts auszusetzen. Ich bin so schön, dass es fast schon widerlich ist.«
Oh! Hatte er gerade richtig gehört? Und wie viel Verbitterung in ihrer Stimme mitgeschwungen hatte.
»Nicht nur fast. Es ist widerlich. Sehr sogar«, sagte er spitzfindig.
Ophelia kniff die Augen zusammen und funkelte ihn an. »Kein Grund, auch noch darauf herumzureiten.«
»Habe ich das? In dem Fall bitte ich vielmals um Verzeihung. Wie wäre es, wenn wir uns jetzt einem anderen Gerücht widmeten, das Sie in Umlauf gebracht haben?«
Sollte er vorgehabt haben, Ophelia mit dieser Taktik zu überrumpeln, so hatte er sich getäuscht. Sie lehnte sich zurück und setzte ein neugieriges Gesicht auf. »Ja, bitte. Zumal ich mich nicht entsinnen kann, weitere Gerüchte verbreitet zu haben.«
»Ich bin mir sicher, dass Ihre Freundin, das heißt, einstige Freundin, Ihnen widersprechen würde. Was war es doch gleich, das Sie laut Mavis ihr angedichtet haben? Dass sie eine Lügnerin und Verräterin sei?«
»Falsch, sie war diejenige, die mich des Verrats bezichtigt hat. Ich habe sie lediglich in Anwesenheit unserer gemeinsamen Freundinnen Jane und Edith als Lügnerin bezeichnet. Sie hätte mich eben nicht provozieren dürfen. Mein Temperament ist mit mir durchgegangen. Aber mehr habe ich mir nicht zuschulden kommen lassen. Ich bin mir sicher, dass Jane und Edith eine solche Bemerkung über Mavis nicht nach außen tragen würden. Zufällig sind sie ihr wohlgesinnt.«
»Ihnen jedoch nicht?«
Ophelia wandte den Blick ab. »Ich weiß, dass Sie das zweite Gespräch zwischen mir und Mavis mit angehört haben. Nein, Jane und Edith waren nie wirklich meine Freundinnen. Sie gaben vor, mit mir befreundet zu sein, doch dem war nicht so.«
»Stört Sie das?«
»Kaum. Ich will nicht gemocht werden. Ich setze alles daran, dass es gar nicht erst so weit kommt.«
Diese Aussage war derart bizarr, dass es Raphael die Sprache verschlug. Selbstredend glaubte er ihr nicht. Aber was mochte sie dazu veranlassen, so etwas zu behaupten?
Er kleidete in Worte, was unausgesprochen in der Luft hing: »Niemand würde sich eigens Mühe geben, nicht gemocht zu werden. Das ist wider die menschliche Natur.«
Mit einem schlichten Achselzucken und einem »Wenn Sie das meinen« tat Ophelia seinen Einwand ab.
Wie konnte es sein, dass sie sich nicht einmal zur Wehr setzte? Verärgert über ihre neue Gleichgültigkeit, versuchte Raphael es erneut. »Nun denn, welche vertretbaren Gründe mag es denn gegeben haben, dass Sie absichtlich Ihre Freunde vertreiben?«
»Damit ich mich nicht dauernd fragen muss, ob sie ehrlich sind, wenn ich mir doch sicher bin, dass sie es nicht
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