Reid 2 Die ungehorsame Braut
sind.«
»Sie vertrauen also niemandem? Ist es das, was Sie damit sagen wollen?«
»Genau.«
»Ich vermute, das schließt mich ein.«
Insgeheim hoffte er, sie würde seine Aussage verneinen, wenngleich ihm schleierhaft war, woher dieser Wunsch rührte. Doch er sollte enttäuscht werden.
»Natürlich schließt Sie das mit ein. Wie alle anderen auch haben Sie mich angelogen.«
»Den Teufel habe ich«, sagte er entrüstet. »Ich bin ganz und gar ehrlich mit Ihnen...«
Ophelias wütendes Schnauben unterbrach ihn. »Sie haben gesagt, Sie würden mich nach London fahren. Mag sein, dass Sie sich schwammig ausgedrückt haben, aber Sie haben mich in jedem Fall in dem Glauben gelassen. Fällt das nicht unter Lüge?«
Raphael schoss die Röte in die Wangen. »Das war eine Ausnahme. Um zu vermeiden, dass Sie sich in theatralischem Gehabe ergehen, bis wir hier sind.«
»Verstehe. Ihre Lügen dienten also einem guten Zweck. Sie sollten zu meinem eigenen Wohl verhindern, dass ich mir Hilfe suche, damit Sie mich in aller Seelenruhe in diese Einöde verschleppen konnten. Wer einmal eine Ausnahme macht, macht bestimmt bald wieder eine, habe ich recht?«
Das Rot seiner Wangen erinnerte jetzt an reife Kirschen. »Ich möchte mich in aller Form dafür entschuldigen, Sie aus Gründen der Zweckmäßigkeit belogen zu haben. Aber ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich Ihnen helfen möchte.«
»Sie brauchen sich nicht dafür zu entschuldigen, gelogen zu haben. Und schon gar nicht, weil Sie es aus Zweckmäßigkeit getan haben. Das tue ich selbst oft genug.«
»Ist das Charakterschwäche Nummer drei?«
»Wo denken Sie hin. Ich bin doch keine notorische Lügnerin. Wenn ich lüge, dann aus freien Stücken. Meine Makel -meine Ungeduld und mein Temperament - kann ich nicht kontrollieren, meine Lügen schon.«
»Und das sehen Sie nicht als schlechte Angewohnheit an?«
»Wenn Sie das anders sehen und meinen, es wäre eine schlechte Angewohnheit, dann sparen Sie sich den Atem.«
»Ich halte es in der Tat für eine Unart. Und genau da liegt der Unterschied zwischen uns. Ich ziehe Ehrlichkeit vor, Sie hingegen scheinen Unehrlichkeit zu bevorzugen.«
»Von bevorzugen kann gar keine Rede sein«, entgegnete sie, ehe sie einräumte: »Es gab sogar Zeiten, da habe ich mich deswegen schuldig gefühlt.«
»Wie kam es zu dem Wandel?«
»Jeder um mich herum hat mich angelogen. Das war auch der Grund dafür, dass Mavis die einzige richtige Freundin war, die ich je hatte. Von ihr wusste ich, dass sie ehrlich ist - zumindest, bis ich sie verletzt habe.«
»Würden Sie gern darüber sprechen?«, wagte er sich vor.
»Nein.«
Sie würde von nun an nichts mehr dazu sagen. Jetzt, wo sie zugegeben hatte, keine Skrupel zu haben, wenn es darum ging zu lügen, musste er sich fragen, ob und was er von dem, das sie bislang gesagt hatte, denn glauben konnte. Welch ein abschreckender Gedanke. Wenn sie entschied, mithilfe von Lügen zurück nach London zu kommen...
»Ich habe Mavis nicht absichtlich wehgetan«, hörte sie sich sagen, gefolgt von: »O Gott, sehen Sie?«
Er runzelte die Stirn. »Was meinen Sie?«
»Das ist mein dritter Makel.«
Jetzt war er vollkommen verwirrt. »Was?«
»Dass ich meinen Mund nicht halten kann. Es ist lächerlich, wie ich auf Stille reagiere.«
Er lachte los. »Und das sehen Sie als Charakterschwäche an?«
»Was sollte es sonst sein?«, antwortete sie gereizt. »Wie würden Sie sich denn fühlen, wenn Ihnen eine nette Anekdote unter den Nägeln brennt, die Sie aber noch ein wenig hinauszögern wollen, und Sie bei der nächsten Stille damit herausplatzen? Damit bringen Sie sich quasi um die Pointe, weil Sie sie zum falschen Zeitpunkt vortragen.«
Sein Lachen wurde leiser. »Ich kann Sie trösten, das ist, wenn überhaupt, nur ein winziger Makel.«
»Das sehe ich anders«, antwortete sie aufgebracht.
»Gibt es denn eine Geschichte, die Sie gern loswerden wollen?«
»Nein, das habe ich nur so als Beispiel gesagt. Es passiert übrigens auch, wenn ich über etwas nicht sprechen will.«
»Aha, verstehe. Gut zu wissen.« Er feixte. »Kehren wir zu Mavis zurück.«
»Nein.«
»Muss ich wieder schweigen?«
Ophelia schleuderte ihm einen funkelnden Blick zu. Dieses Mal hatte Raphael sein Lachen unter Kontrolle. Ophelia war dem Anschein nach genauso leicht zu necken wie seine Schwester Amanda. Das nächste Thema, das er anschneiden würde, würde zweifelsohne Ernüchterung mit sich bringen.
»Mavis zufolge
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