Reid 2 Die ungehorsame Braut
geworden. Glücklicher, als sie es jetzt ist.«
»Liege ich mit meiner Vermutung richtig, dass Sie ihn ihr unter der Nase weggestohlen haben?«
»Das hat nichts mit Diebstahl zu tun. Ich zählte noch nicht einmal sechzehn Lenze, als er um meine Hand anhielt. Das war lange, bevor die beiden sich überhaupt kannten. Er wurde mir bald lästig, versuchte mir ständig einen Kuss zu rauben. Bis ich meine Mutter bat, ihn ein für alle Mal von der Gästeliste zu streichen, was sie auch tat. Später ging er dazu über, meinen besten Freundinnen den Hof zu machen, damit er zu denselben Bällen und Festivitäten eingeladen wurde wie ich. Er hat sogar zugegeben, dass er all das nur deshalb auf sich nahm, um in meiner Nähe zu sein.«
»Und das haben Sie Mavis verschwiegen?«
»Natürlich nicht, ich habe es ihr mehr als einmal gesagt. Sie hat mich stets ausgelacht. Sie wollte nichts hören, was ihn schlecht machte. Also habe ich ihm erlaubt, mich zu küssen. In dem Wissen, dass sie uns dabei erwischen würde. Da sie nicht auf mich hören wollte, habe ich ihr den Beweis geliefert, damit sie sein wahres Wesen endlich erkennt.«
»Und das war vermutlich das Ende Ihrer Freundschaft zu Mavis.«
»Für eine Weile trennten sich unsere Wege, ja. Sie weinte, verbreitete scheußliche Dinge über mich, gab mir die Schuld an allem. Aber dann kam sie zurück, gab vor, sie hätte verstanden und mir verziehen.«
»Aber dem war wohl eher nicht so.«
»Nein. Ganz und gar nicht«, sagte Ophelia mit dünner Stimme. »Zwischen uns wurde alles anders.«
Die Traurigkeit wegen der verlorenen Freundschaft stand Ophelia ins Gesicht geschrieben. Mit einem Mal fühlte Raphael sich wie ein gemeiner Schuft. Er wollte, dass sie ihre Fehler eingestand, aber die Geschichte mit Mavis lag gänzlich anders, als er angenommen hatte. Sie hatte lediglich versucht, einer Freundin zu helfen, und sie dadurch verloren.
Angesichts dieser Wendung entschied er, ihr Ungestüm zum Thema zu machen. »Sehen Sie, so schwer war es doch gar nicht, Ihr Temperament unter Kontrolle zu bringen, oder?«
Ophelia erhob sich. »Indem Sie mich durch schmerzhafte Erinnerungen traurig machen? Wenn das Ihr Gegenmittel ist, lehne ich dankend ab.«
Mit diesen Worten marschierte sie aus dem Raum hinaus. Raphael dachte nicht daran, sie aufzuhalten. Es gab so vieles, worüber er erst einmal in Ruhe nachdenken musste. Vor allem, dass sie jeden seiner Vorwürfe bislang plausibel entkräftet hatte. Er durfte jedoch nicht vergessen, dass er das unerfreulichste Thema noch nicht auf den Tisch gebracht hatte. Die Rede war von der Art und Weise, wie sie die liebreizendste, netteste Frau auf Erden behandelt hatte - Sabrina Lambert.
Kapitel fünfzehn
A m oberen Treppenabsatz blieb Ophelia stehen, drehte sich um und setzte sich auf die oberste Stufe. Sie hatte keine Lust, Sadie zu begegnen, die sich vermutlich in ihrem Zimmer aufhielt und sie mit endlosen Fragen löchern würde, warum sie so traurig aussah. Sie wollte mit niemandem reden, außer mit Raphael. Es war sogar so, dass sie erwartete, dass er ihr nachlief und sich entschuldigte. Und sie gab ihm die Chance dazu, indem sie nicht so weit fortlief.
Aber was für eine Närrin sie doch war. Er ging ihr gar nicht hinterher!
»Ein Penny für Ihre Gedanken, Kindchen.«
Ophelia hatte Schritte im Flur vernommen und inständig gehofft, es möge jemand vom Gesinde sein. Doch das Glück war ihr nicht hold.
Sie erhob sich und richtete das Wort an Raphaels Tante. »Das wollen Sie gar nicht wissen.«
»In dem Fall erhöhe ich auf ein Pfund.«
Für die Dauer eines Herzschlags erhellte ein Lächeln Ophelias Züge. »Ihr Neffe ist ein unmöglicher Mensch, unglaublich selbstherrlich und starrköpfig. Er wird nicht auf die Vernunft hören.«
»Und ich war mir sicher, dass er Sie längst mit seinem Charme erobert hat. Darin ist er nämlich sehr gut, müssen Sie wissen.«
Ophelia schnaubte. »Vielleicht in einem früheren Leben. Ich finde, er hat so viel Charme wie ein aufgebrachter Eber.«
Esmeralda kicherte. Ophelia konnte dem Ganzen nichts Amüsantes abgewinnen. Was sie gesagt hatte, war ihr voller Ernst.
»Darf ich Sie etwas fragen, Lady Esme? Ich wollte es bereits gestern ansprechen, aber Rafe hat mir versichert, es wäre vertane Müh, weil Sie unverrückbar auf seiner Seite stünden. Stimmt das? Können Sie es wirklich stillschweigend dulden, dass er mich gegen meinen Willen hier festhält?«
»Er hat mir versichert, dass Ihre Eltern
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