Reid 2 Die ungehorsame Braut
dass du dich wie eine Außenseiterin fühlst.«
Ophelia kicherte. »Das wäre nicht das erste Mal, dass ich nicht dem Anlass entsprechend angezogen bin, oder? Aber der Ball findet erst morgen statt, Mama. Heute steht erst einmal Lady Clades musikalischer Abend auf dem Programm.«
»Ach, du ahnst es nicht. Dann bin ich ja diejenige, die vollkommen falsch angezogen ist.« Sofort öffnete Mary den Umhang, sodass ihr Ballkleid sichtbar wurde. »Ich fürchte, wir haben zu viele Einladungen auf einmal angenommen. Vielleicht sollte ich eine Liste anfertigen, damit ich nicht durcheinander komme. Gib mir ein paar Minuten, damit ich mich umziehen kann. Ich verspreche auch, mich zu beeilen.«
Mit diesen Worten hastete Mary die Treppe hinauf. Ophelia lächelte in sich hinein. Ihre Mutter war es einfach nicht gewohnt, so oft auszugehen. Ihre Stärke lag darin, Einladungen zu verschicken, statt sie anzunehmen. Ophelia ging in den Salon, um dort auf ihre Mutter zu warten. Eine Entscheidung, die sie im nächsten Moment bereuen sollte weil Ihr Vater ebenfalls dort war. Er saß in einem Sessel und las ein Buch. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen sah er zu ihr herüber.
»Wenn ich dich begleiten würde, müsstest du nicht warten«, sagte er, woraus Ophelia schloss, dass er Marys Worte vernommen hatte. »Ich halte es ohnehin für eine Schnapsidee, deine Mutter als Begleitung mitzunehmen, aber das weißt du ja.«
»Im Gegenteil, es ist eine ausgesprochen gute Idee. Wie soll ich denn einen geeigneten Gemahl finden, wenn du mir ständig im Nacken sitzt und mich ganz nervös machst?«
Sherman mahlte mit dem Kiefer, und sein Grinsen fiel in sich zusammen. »Wir beide müssen uns nicht streiten, wenn wir es nicht wollen.«
»Die Tatsache, dass du nicht immer versuchen musst, mein Leben zu kontrollieren, hält dich doch auch nicht davon ab, es zu tun, oder?«
»Es reicht«, brummte er. »Fang bitte nicht schon wieder davon an. Ach übrigens, die Farbe steht dir ausgesprochen gut, du solltest sie öfter tragen.«
Ein Kompliment? Von ihm? Ophelia dachte darüber nach, sich in den Arm zu zwicken, um sicherzugehen, dass sie wach war. Einen Augenblick lang spielte sie mit dem Gedanken, ihm zu verraten, dass sie häufig Puderblau oder verwandte Farbtöne trug und ihm das auch auffallen würde, wenn er nicht ständig mit sich selbst beschäftigt wäre.
Stattdessen fragte sie ihn mit gerunzelter Stirn: »Habe ich da etwas nicht mitbekommen? Erst heute Morgen bist du mit mir ins Gericht gegangen, weil ich nicht wusste, wann Raphael wieder in der Stadt sein würde.«
»Ja, ja, und du hast zurückgeschossen, dass du dich einen Teufel darum scherst, ob er jemals wiederkommt«, beschwerte Sherman sich. »Nicht gerade die richtige Einstellung, wenn es um deinen zukünftigen Gemahl geht. Er ist der Einzige, auf den du dich jetzt konzentrieren solltest. Und da halb London bereits denkt, ihr wärt verlobt, ist es nur noch ein kleiner Schritt bis.... «
»Diese lächerlichen Gerüchte entbehren jeglicher Grundlage«
»Ihr seid dabei gesehen worden, wir ihr euch geküsst habt. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass du endlich einmal auf meinen Rat gehört hast.«
»Ich bin bereits Dutzende von Malen geküsst worden und habe mich nicht gleich verlobt.«
»Geraubte Küsse, von denen niemand etwas mitbekommen hat, zählen nicht. Solche, bei denen es Zeugen gibt, schon.«
Ophelia atmete tief durch, um nicht die Contenance zu verlieren. Die unerwarteten Gerüchte machten ihr schwer zu schaffen. Sie war sich sicher, dass es eine Möglichkeit gab, sie außer Kraft zu setzen, aber ihr fehlte bislang noch die zündende Idee. Wie dem auch sei, sie würde sich nicht auf eine weitere Diskussion mit ihrem Vater einlassen.
Wenngleich sie in vielen Dingen auf keinen grünen Zweig kamen, hatte ihr Vater sich in den letzten Tagen, in denen sie nicht vor die Tür getreten war, zumindest nicht so tyrannisch wie sonst gegeben. Seine gute Laune rührte zweifelsohne von den Gerüchten um sie und Rafe her. Er wog sich bereits in Sicherheit, dass ihre Hochzeit mit dem Duke of Norford aufgrund der Gerüchte so gut wie geplant war, und wollte nicht, dass sie ihm widersprach.
»Ist das eine neue Strategie von dir?«, sagte sie ein wenig gelassener. »Mich bis aufs Blut zu reizen, dass ich nicht einmal mehr das Haus verlassen möchte?«
Ihr Vater stieß einen Seufzer aus und ließ den Kopf gegen die Sofalehne sinken. »Nein. Es ist mir schleierhaft,
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