Reid 2 Die ungehorsame Braut
eigentlich klar, wie schwer es ist, die öffentliche Meinung umzustimmen?«
»Nicht in diesem Fall. Ich muss die Gerüchte nur dementieren.«
»Du glaubst tatsächlich, dass es so einfach ist?« Preston wurde mit jeder Silbe philosophischer. »Die Sache hat nämlich einen winzigen Haken. Weil du sie ohne angemessene Anstandsdame in deiner Kutsche mitgenommen hast...«
»Ihre Zofe war mit dabei.«
»Ohne angemessene Anstandsdame«, wiederholte Preston mit leicht zusammengekniffenen Augen. »Und weil du sie geküsst hast - untersteh dich, mich ein weiteres Mal zu unterbrechen. Mag sein, dass sie den ersten Schritt getan hat, aber du hast dem keinen Riegel vorgeschoben, sondern mitgemacht. Allein diese beiden Gerüchte reichen aus, und das weißt du auch, um das Mädchen in den gesellschaftlichen Ruin zu stürzen, wenn du dich nicht mit ihr verlobst. Die Frage ist also, ob du dich bereits mit ihr verlobt hast?«
Raphael musste nicht erst einen Schlag auf den Kopf bekommen, um zu wissen, dass sein Vater ihm gerade angeordnet hatte, sie zu heiraten. Er sackte weiter in sich zusammen, wurde immer kleiner.
»Hat Forton dir wenigstens auch etwas über das Mädchen erzählt, das du in die Familie zu holen gedenkst?«
Preston zuckte mit den Schultern. »Spielst du darauf an, dass es sich dabei um das hübscheste Mädchen ganz Londons handelt?«
»Das ist nur ein Teil der Wahrheit.«
»Und dass sie deswegen zur Arroganz neigt.«
»Das war einmal.«
»Und dass sie eine Xanthippe ist.«
»Auch das gehört der Vergangenheit an.«
»Wirklich? Dann kann ich mich ja fast über diese plötzliche Entwicklung freuen.«
»Das solltest du lieber nicht. Sie wird mir vermutlich die Augen auskratzen, wenn sie herausfindet, dass du mir das Schwert auf die Brust setzt. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass sie sich weigert und auf die Konsequenzen pfeift.«
»Unsinn.«
»Du hast ja keine Ahnung, wie destruktiv sie sein kann, wenn ihr Temperament mit ihr durchgeht.«
»Ich habe keine Narren großgezogen, mein Junge, und du kannst ein Charmeur vor dem Herrn sein, wenn du möchtest. Ich bin voller Zuversicht, dass du sie umzustimmen weißt.«
Kapitel achtunddreißig
R aphael verbrachte noch einen weiteren Tag mit seiner Familie. Wenngleich Ophelias Name nicht noch einmal fiel, begleitete sie ihn in Gedanken auf Schritt und Tritt. Ihr Name fand nur deshalb keine Erwähnung mehr, weil Raphael nach anfänglicher Diskussion noch einige Stunden in dem Arbeitszimmer seines Vaters verbracht hatte und ihm fast alles darüber erzählt hatte, was er mit Ophelia getan hatte und warum. Doch auch das hatte Preston nicht umstimmen können. Nichtsdestotrotz war Raphael davon überzeugt, dass sein Vater nicht allzu enttäuscht sein würde, wenn er einen Weg fand, sich elegant aus der Affäre zu winden, ohne den Ruf der Familie in Mitleidenschaft zu ziehen.
Das Einzige, was er wohlwissentlich ausließ, war die Tatsache, dass er mit ihr geschlafen hatte. Sein Vater war in dieser Beziehung von der alten Garde. Wüsste er davon, hätte er ihm Ophelia schneller ans Bein gebunden, als er Luft holen konnte. Ansonsten ließ sich sagen, dass das, was sein Vater von seinen Freunden erfahren hatte, wahrhaftig nicht so klang, als stecke Ophelia hinter den Gerüchten. Wenn sie wirklich wegen der Wette wütend auf ihn war - und daran bestand so gut wie kein Zweifel, gemessen an dem Verhalten, das sie auf dem Ball an den Tag gelegt hatte -, würden die Gerüchte dies nur verstärken.
Mit einer Flut von Gedanken, die es zu wälzen gab, machte Raphael sich auf den Rückweg nach London. Er wollte die Sache Jetzt selbst in die Hand nehmen und einen Weg finden, um der Hochzeit zu entkommen. Aber es war wie verhext, stän-dig schob sich Ophelias Bild vor seine Gedanken. Eine Heirat mit ihr... Das würde nie und nimmer funktionieren. Er war bei Weitem nicht bereit, ein solides und geregeltes Leben zu führen. Seine Zeit als Junggeselle strebte doch erst dem Höhepunkt entgegen. Umso erstaunlicher war es, dass er dem Gedanken, mit einer anderen Frau als Ophelia zusammen zu sein, nichts Erquickendes abgewinnen konnte.
Verflixt noch mal. Er hatte gewusst , dass es ein Fehler sein würde, sich dem Liebesspiel mit ihr hinzugeben. Sie war die beste, exquisiteste, witzigste, hübscheste und leidenschaftlichste Frau, der er je begegnet war. Keine andere konnte mit ihr mithalten, sie würde ihm nichts als Enttäuschung bereiten. Wonach sollte ein Mensch streben, wenn
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