Reid 3 Ungezähmte Sehnsucht
Bemerkung her? Doch im Grunde kannte er die Antwort. Noch immer spukte Rebecca ihm im Kopf herum.
Ehe er seine Bemerkung entkräften konnte, ermahnte Julie ihn: »Wenn ich nicht genau wüsste, dass du mich auf den Arm nehmen willst, würde ich dich erschießen, ehe einer der Väter dieser bemitleidenswerten Mädchen die Gelegenheit dazu bekommt. «
Obwohl Julie St. John sich in ständigen Beschwerden über Ruperts Lebensstil erging, wussten beide, dass sich früher oder später alles finden würde, dass die St. Johns mit Sicherheit nicht ausstarben. Zum einen war Rupert gerade einmal sechsundzwanzig, und zum anderen hatte sie zwei weitere Söhne. Solange Rupert nicht die Grenzen des guten Geschmacks übertrat und sich der Verführung von Jungfrauen schuldig machte, beschränkte Julie sich darauf, ihr Missfallen in Form von Murren und bissigen Bemerkungen kundzutun.
Obwohl Julie Locke St. John bereits stark auf die fünfzig zuging, war sie noch immer hübsch anzusehen - keine Seltenheit bei den Lockes. Anders als Julie, die wie alle Lockes mit blondem Haar und blauen Augen gesegnet war, schlugen ihre drei Söhne nach ihrem Vater - pechschwarzes Haar und himmelblaue Augen.
Julie war von Natur aus stolz und dickköpfig. Nach dem Ableben ihres Mannes war sie nicht in den Schoß ihrer Familie in Norford zurückgekrochen, sondern hatte entschieden, ihre Kinder ohne Vater großzuziehen. Genau wie ihr Bruder Preston, der Duke of Norford, der nach dem Tod seiner Gemahlin keine Anstrengungen unternommen hatte, eine neue Partnerin zu finden, wollte auch Julie lieber allein bleiben und das Andenken an ihren verstorbenen Gemahl wahren. Mindestens einmal am Tag erwähnte sie, wie glücklich sie mit ihm gewesen war, dem ohnehin niemand würde das Wasser reichen können.
Die Kehrseite dieser Entscheidung bestand darin, dass ihre Söhne ab dem Alter von einem, acht und zehn Jahren ohne Vaterfigur aufwachsen mussten. Deshalb war Julie in jüngeren Jahren häufig nach Norford gereist, damit die Jungs Zeit mit ihrem Onkel Preston verbringen konnten.
Der Anspruch, sowohl der Mutter- als auch der Vaterrolle gerecht zu werden, hatte Julie verändert. Es war ein schleichender Prozess, der sie zu einem männlichen Tyrann in Damengewändern hatte mutieren lassen. Obwohl ihr Gemahl ein sanftes Wesen besessen hatte, definierte sie Männlichkeit vor allem durch herrisches und ruppiges Gebaren. Während sie ihren Söhnen Liebe und emotionale Unterstützung angedeihen ließ, reflektierten ihr harscher Unterton und ihr ruppiges Verhalten, wie ihrer Meinung nach ein Vater mit seinen Söhnen umging. Ihr Erziehungsstil mutete ein wenig sonderbar an, aber niemand in der Familie besaß den Mut, sie mit der Nase darauf zu stoßen.
Rupert war bewusst, welchen Spagat seine Mutter vollführte und welche Opfer sie für ihre Söhne gebracht hatte. Aus ebendiesem Grunde hatte er es sich auf die Fahnen geschrieben, ihr niemals das Gefühl zu geben, ihre Bemühungen wären nichtig gewesen. Indem er in die Rolle des rebellischen Draufgängers schlüpfte, gab er ihrem Leben einen Sinn. Er würde sie so lange weiterspielen, wie es eben ging. An dem Tag, an dem er ihr keinen Grund mehr gab, sich über ihn aufzuregen und zu versuchen, ihn in geregelte Bahnen zu lenken, würde sie unweigerlich ins Straucheln geraten, dessen war er sich sicher.
Im Gegensatz zu Julie war Avery und Owen klar, dass Ruperts frevelhaftes Verhalten nichts weiter als eine List war und dass er ihnen die Ohren langziehen würde, wenn sie je versuchten, nach ihm zu schlagen. Rupert fand es alles andere als schwierig, das Gegenteil von dem zu tun, was seine Mutter sich wünschte. Da sie wollte, dass er das Haar kurz trug, hatte er es wachsen lassen. Da sie es vorzog, dass er sich unauffällig kleidete, trug er die ausgefallensten Kleidungsstücke, die er finden konnte. Natürlich hatte Julie keine Ahnung davon, dass ihr Ältester insgeheim für die Krone arbeitete. Genauso wenig ahnte sie, dass er sich persönlich um die Familienfinanzen kümmerte, und dies nicht habgierigen Finanzverwaltern überließ.
»Ruhig Blut, Mutter, das war nur ein Scherz! «, versicherte Rupert seiner Mutter.
»Und ein schlechter dazu«, gab sie mit finsterem Blick zurück. »Aber wenn ich ehrlich bin, würde ich dich lieber nicht erschießen wollen. «
»Das höre ich gern. Aber ich finde, du machst dir wieder einmal zu viele Gedanken. «
»Wozu ich dank dir auch Grund genug habe«, antwortete sie
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