Reid 3 Ungezähmte Sehnsucht
wollte natürlich sagen, dass er mein Schneider ist. «
Rebecca warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. »Sehr aufschlussreich, dass Euch das eine Lüge wert ist. «
»Ihr findet, ein Witz kommt einer Lüge gleich? «
»Ausflüchte sind auch eine Form der Täuschung. «
»Sehr aufschlussreich, wie Ihr darüber denkt. «
Um ein Haar hätte Rebecca losgeprustet, weil er ihre Wortwahl aufgegriffen hatte.
Obgleich er sich charmant aus der Affäre gezogen hatte, um ihre Frage nicht beantworten zu müssen, überraschte es sie, dass er nicht weiter nachbohrte, was sie in der Wigmore Street zu suchen hatte. Stattdessen nestelte er an einem der Knäuel herum und verkündete: »Ich würde sogar Modell stehen, wenn Ihr mir etwas Modisches stricken wolltet, und Euch anschließend groß zum Essen ausführen. «
Rebecca war machtlos gegen das Grinsen, das sich auf ihre Lippen legte. »Würdet Ihr das? Streng genommen käme das einem Geschenk gleich. Ich weiß nicht, ob... «
»Betrachtet es als verfrühtes Weihnachtsgeschenk«, fiel er ihr ins Wort. Er klang beinahe glaubwürdig.
»Ich für meinen Teil mache flüchtigen Bekannten nie Geschenke. «
»Aber uns verbindet doch viel mehr als nur eine flüchtige Bekanntschaft. «
»Das stimmt nicht. «
»Natürlich stimmt es. Oder gehört es zu Euren Gepflogenheiten, mit flüchtigen Bekannten gleich Küsse auszutauschen? «
Rebecca schnaubte. »Der Kuss ging von Euch aus, nicht von mir! «
Schon wieder grinste er so unverschämt. »Aber Ihr habt Euch auch nicht geziert. Versucht erst gar nicht, das zu leugnen! «
Jetzt hatte Rupert es geschafft, dass Rebecca knallrot anlief. Sie fragte sich, ob der Farbton ihrer Wangen dem seines scheußlichen Gehrocks ähnelte. Bei dem Gedanken an sein äußeres Erscheinungsbild provozierte sie ihn: »Ich wusste gar nicht, dass um diese Uhrzeit schon Kostümbälle stattfinden. «
»Wie kommt Ihr denn darauf? «
Rebecca sah auffällig den Ärmel seines pompösen Gehrocks an. »Ein Gehrock aus Satin am helllichten Tag? Euch dürfte nicht entgangen sein, dass dandyhafte Mode bereits seit Jahrzehnten nicht mehr en vogue ist, oder? «
Der trockene Unterton in Rebeccas Stimme belustigte Rupert. »Den Plural könnt Ihr Euch getrost sparen, meine Liebe. So lange ist es nun auch noch nicht her. Im Übrigen ist er für meine Mutter. «
»Eure Mutter trägt Männermäntel? «
»Unter uns: Wenn sie sich damit nicht zum Gespött machen würde, so fürchte ich, würde sie nicht davor zurückschrecken. Nein, ich trage ihn nur deshalb, weil es sie noch mehr als Euch verärgert, wenn sie mich in Satin sieht. «
Rebecca hob eine Augenbraue. »Und daran labt Ihr Euch? «
»Und wie! «
Da er seine Worte mit einem Lächeln untermalte, war Rebecca sich nicht sicher, ob er sie nicht schon wieder auf den Arm nahm. Erst dann dämmerte ihr, dass er seiner Mutter einen Besuch abstattete und was das unter Umständen bedeutete. Ob er je wiederkam? Wie auf Kommando machte sich bleierne Enttäuschung in ihr breit. Hieß das womöglich, sie würden sich nie wieder im Palast über den Weg laufen? Wenn ja, standen ihr unweigerlich langweilige Wochen und Monate bevor. Die Frage war nur, wie er dann als Bote zwischen ihr und Nigel fungieren sollte. Oder erwarteten die beiden etwa, dass sie ihn zu Hause besuchte?
Für gewöhnlich war Rebecca nicht so direkt, aber sie musste es einfach wissen und fragte deshalb unverblümt: »Sehen wir uns später im Palast? «
»Eure Ungeduld ehrt mich«, gab er zurück und zog einen Mundwinkel nach oben.
Der Schluss, zu dem Rupert allem Anschein nach gekommen war, ließ Rebecca fast stottern. »I-ich war nur neugierig, das ist alles. Es klang, als ginget Ihr nach Hause. Aber vielleicht habe ich mich auch geirrt, als ich annahm, Ihr wärt ein Gast im Palast. «
»Im Moment bin ich das, aber ich muss ja kein Gast sein, um jemandem einen Besuch abzustatten. Kann es sein, dass Ihr mich bereits vermisst? Leugnen ist zwecklos, ich sehe es Euch an der Nasenspitze an. «
Rebecca verdrehte die Augen, weil er es einfach nicht lassen konnte, sie auf den Arm zu nehmen. Doch dann fügte er mit rauchiger Stimme hinzu: »Ihr wisst genau, dass wir beide noch lange nicht miteinander fertig sind, Becca. «
Obwohl Rupert vermutlich auf seine Rolle als Mittelsmann anspielte, brachten seine Worte Rebecca gehörig durcheinander.
Kapitel 19
Wie die seitendicke Familienchronik der St. Johns verriet, lebte die Familie seit jeher in der Stadt. Ihr
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