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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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gedacht, daß es von einem Leprakranken chauffiert wurde. Und woher sollte ich wissen, daß GPO General Post Office und GLC Greater London Council bedeuteten und LBW, »Leg before wicket«, beim Cricket eine Rolle spielte? Wirklich, ich strotzte vor Ignoranz. Die einfachsten Transaktionen waren mir ein Mysterium. In einem Zeitungsladen sah ich, wie ein Mann um zwanzig »Number Six« bat und Zigaretten bekam, und glaubte noch lange danach, daß in Zeitungsläden nach Nummern gekauft wurde, so wie man beim Chinesen sein Essen nach Nummern bestellt. Ich saß eine halbe Stunde in einem Pub, bevor ich kapierte, daß man sich seine Getränke selbst holen mußte. Doch als ich dasselbe in einem Tea-Room versuchte, hieß man mich, Platz zu nehmen und zu warten, bis ich bedient wurde.
    Die Dame im Tea Room und sämtliche Verkäuferinnen nannten mich »love« und die meisten Männer »mate«. Ich war noch keine zwölf Stunden hier, und schon liebten sie mich. Und alle aßen so wie ich. Das war wirklich sensationell. Jahrelang hatte ich mich als Linkshänder zur hellen Verzweiflung meiner Mutter höflich geweigert, wie Amerikaner zu essen – die Gabel in die linke Hand zu nehmen, das Essen damit festzuhalten, während man es schnitt, und sie dann in die rechte Hand zu transferieren, um den Happen in den Mund zu befördern. Das fand ich lächerlich mühsam. Aber hier aß plötzlich ein ganzes Land wie ich. Und sie fuhren links! Es war das Paradies. Noch ehe Mittag war, wußte ich, hier wollte ich leben.
    Den ganzen Tag lang wanderte ich glücklich und ziellos umher, belauschte Gespräche an Bushaltestellen und Straßenecken, lugte interessiert in Schaufenster von Fleischereien, Gemüse- und Fischgeschäften, studierte Anschlagzettel und öffentlich aushängende Bauanträge und ließ alles in Ruhe auf mich einwirken. Ich kletterte zur Burg hoch, bewunderte die Aussicht und die ein- und auslaufenden Fähren, betrachtete ehrfürchtig die Weißen Klippen und das alte Stadtgefängnis und entschloß mich am späten Nachmittag spontan, das heißt, angezogen von der Aussicht auf Wärme und einem Plakat mit einem Reigen spärlich gekleideter junger Damen in verführerischer Pose, ins Kino zu gehen.
    »Rang oder Parkett?« fragte die Kartenverkäuferin.
    » Frauentausch im Vorstadtgetto « , brachte ich ganz verschwörerisch heraus.
    Innen eröffnete sich mir wieder eine neue Welt. Ich sah die erste Kinoreklame und die ersten Trailer, mit britischem Akzent präsentiert, mein erstes Zertifikat der britischen Filmzensurbehörde (»Dieser Film wurde für nicht jugendfrei befunden – von Lord Harlech, dem er sehr gut gefallen hat.«) und entdeckte zu meiner nicht geringen Freude, daß in britischen Kinos das Rauchen erlaubt war. Was schert uns die Brandgefahr! Der Film selbst bot nicht nur eine reiche Ausbeute an sozialen und lexikalischen Informationen, sondern auch die Gelegenheit, daß ich meine qualmenden Füße ausruhen und eine Menge attraktiver junger Frauen sehen konnte, die nackt, wie Gott sie schuf, herumtollten. Die vielen mir neuen Begriffe – »dirty weekend« für illegitime Wochenendfreuden, »loo« für Toilette, »complete pillock« für einen Vollidioten – sind mir in der Folgezeit immer wieder mal von Nutzen gewesen. In der Pause, noch eine mir neue aufregende Einrichtung, trank ich meine erste Kia-Ora, die ich bei einer kolossal gelangweilten jungen Dame erstand, die die bemerkenswerte Fähigkeit besaß, die ausgewählten Waren von ihrem beleuchteten Bauchladen zu nehmen und Wechselgeld herauszugeben, ohne auch nur einmal den Blick von einem imaginären Punkt in mittlerer Entfernung zu wenden. Nach dem Film dinierte ich in einem kleinen, von Pearl and Dean in der Kinowerbung empfohlenen italienischen Restaurant und kehrte in meine Pension zurück, als sich der Abend über Dover senkte. Alles in allem war es ein zutiefst befriedigender und lehrreicher Tag gewesen.
    Ich wollte eigentlich früh Schlafengehen, aber auf dem Weg zu meinem Zimmer fiel mir eine Tür mit den Schild RESIDENTS’ LOUNGE auf, und ich steckte den Kopf hinein. Es war ein großer Aufenthaltsraum mit Sesseln und Couch in gestärkten Schonbezügen, einem Bücherregal mit einer bescheidenen Auswahl an Puzzles und Taschenbüchern, einem Beistelltisch mit ein paar abgegriffenen Zeitschriften und einem großen Farbfernseher. Ich stellte ihn an, und während ich darauf wartete, daß er warmlief, blätterte ich die Zeitschriften durch. Es waren lauter

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