Reif für die Insel
wählen. Nein, nicht Paul! So etwas wäre ihm viel zu kommerziell gewesen, viel zu abgenutzt. Selbst wenn er inzwischen zu Geld gekommen ist, wird er nicht versuchen, das Glück zu kaufen. Dass er sich damals die Elvis-Tolle mit Margarine ins Haar gelte, geschah auch aus Prinzip. Die anderen redeten viel mehr als Paul über die schädlichen Auswirkungen des Kommerzes, Paul dagegen war derjenige, der tatsächlich ohne auskam. Rolf und Werner wetterten gegen die Macht des Geldes, solange sie keins hatten, und kauften sich einen Plattenspieler, sobald es möglich war. Paul war der Einzige, der wirklich ohne Konsum auskommen wollte. |63| Er war einer, der ein Gedicht schrieb und sich ins Gras setzte, um es seiner Angebeteten vorzulesen. Und der sich wunderte, wenn etwas schiefging.
Schluss mit den ganzen Erinnerungen! Ich weiß, ich soll mich auf die Gegenwart konzentrieren. Elena hat mir das oft genug gesagt. Obwohl – wenn ich sie heute Abend anrufe und ihr erzähle, dass ich den Tag in der Nähe der Strandsauna verbracht habe, wird sie auch sofort an die Clique denken und sagen: Weißt du noch, wie kurz unsere Minis damals waren? Meinen Eltern hatte ich zwar nur einen Rocksaum abgerungen, der zehn Zentimeter oberhalb des Knies endete, aber sobald ich ihrer Aufsicht entronnen war, krempelte ich den Rockbund zweimal um und trug dann einen genauso gewagten Mini wie Elena. Wir werden uns totlachen, wenn wir darüber reden, und Elena wird nicht aufhören, von Paul und Uschi zu sprechen, und zum soundsovielten Mal fragen, was aus ihnen geworden sein mag. Jede Wette, dass sie sich erneut Gedanken darüber machen wird, warum Paul damals Werner im Stich gelassen hat! Wir haben schon hundertmal darüber geredet, trotzdem werden wir es wieder tun. Irgendwie gehören die Erinnerungen eben auch zur Gegenwart.
4.
Paul liegt immer noch auf dem Bauch, als gäbe es etwas, was er verbergen wollte. Aber in seinem Alter hat man den Körper unter Kontrolle. Paul kann sich genauso gut aufsetzen |64| oder auf den Rücken legen. Diesen Teil seiner Erinnerungen hat er bewältigt.
Etwa zwanzig Meter von ihm entfernt hat sich eine Frau aus dem Sand erhoben. Sie nimmt ihr Liegetuch auf, hält es in den Wind und schlägt den Sand heraus. Dann faltet sie es vor ihrem Bauch zu einem großen Viereck zusammen und verstaut es in ihrer Badetasche. Sie hat einen schönen schmiegsamen Körper, rund, nachgiebig und weiblich. Schenkel, die einen wunderbaren Schoß abgeben, ein vorgewölbter Bauch, weich und leicht zerknautscht wie ein gemütliches Kissen, Brüste, die ein Zuhause sein können. Paul mag diese reifen Frauenkörper, die aussehen, als wollten sie einen Mann satt machen.
Die Frau greift sich an den Hinterkopf, löst dort eine Spange, schüttelt ihre halblangen Haare, streicht sie nach hinten und befestigt sie wieder. Diese Geste ist ihm derart vertraut, dass sie ihm einen jähen Schmerz versetzt.
Paul fährt aus dem Sand hoch. Sophia? Ja, es gibt keinen Zweifel. Vierzig Jahre älter, aber doch unzweifelhaft Sophia! Wie sie sich bückt, um nach ihrem Slip zu greifen, wie sie ihn eilig in die Höhe zieht und dann gemächlich in ihre Shorts steigt. Wie sie den Rücken dehnt, bevor sie sich das T-Shirt über den Kopf zieht und dann mit kundigen Fingern den BH darunter schiebt und ihn ihm Rücken schließt. Jede dieser Bewegungen verrät sie.
Paul springt auf, so heftig, so unüberlegt, dass sie auf ihn aufmerksam wird. Ihre Hände, die unter dem T-Shirt den BH in die richtige Position schieben, stocken, ihr Blick wird argwöhnisch.
|65| Augenblicklich lässt Paul sich in den Sand zurückfallen. Er kneift die Augen zusammen, damit er nichts von dem Aufruhr, der in ihm tobt, nach außen trägt, das linke genauso fest wie das rechte, greift sich an den Kopf, in dem es dröhnt, mit beiden Händen, übt links und rechts den genau gleichen Druck aus, dann an die Brust, um seinen Herzschlag zu fühlen, bedauert kurz, dass es nicht in der Mitte, sondern links schlägt, tastet schließlich über den Nabel, um zu spüren, wie er die Luft anhält … dann wirft er sich auf den Bauch. Sophia! Er hat nie gehofft, sie jemals wieder zu finden. Und nun ausgerechnet hier!
Ihr nach so vielen Jahren nackt gegenübertreten? Nein, völlig unmöglich! Genauso unmöglich wie damals. Nicht noch einmal alles aufs Spiel setzen mit nackter Haut oder mit einem Gedicht.
Er kann die Augen wieder öffnen, der Aufruhr in seinem Innern glättet sich, das Dröhnen in
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