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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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übrig, er musste sich auf den Bauch drehen und so liegen bleiben.
    Denk an was anderes! An die Mathelehrerin, an die alte Patentante, an die hässliche Nachbarin daheim!
    |57| Aber er schaffte es nicht. Er dachte an Sophia, an ihre schnellen Bewegungen beim Auskleiden, an den Bogen ihres Rückens, als sie sich bückte und ihre Shorts abstreifte.
    Bitte, keine Erektion! Nicht jetzt!
    Paul streckt sich auf dem exklusiven Badelaken aus, das man ihm im Hotel Stadt Hamburg mitgegeben hat, und versucht zu grinsen. So, wie man eben grinst, wenn man an die Mühseligkeiten der Kindheit denkt, die damals schwer wogen und heute so leicht erscheinen. Aber das Lächeln misslingt. Nein, die Not, die er damals litt, quält ihn noch heute. Nicht einmal der Schreck, der folgte, konnte an seiner misslichen Lage etwas ändern.
    Denn plötzlich sprang Sophia auf. Er sah ihre Füße vor sich, zum Greifen nah, blickte an ihren Beinen hoch — und schloss die Augen wieder, presste die Stirn in den Sand. Uschis Schreie hörte er kaum, Rolfs Rufen auch nicht. Die Frage, was passiert war, raste vom Kopf in den Unterleib.
    Bitte, keine Erektion! Nicht auch noch das!
    Dass sie seinen Namen riefen, war eine Katastrophe. Er konnte jetzt nicht aufstehen, völlig unmöglich. Er musste liegen bleiben und abwarten. Warum sie seinen Namen riefen, fragte er sich nicht. In ihm hämmerte nur der Wunsch, sie mögen endlich damit aufhören. Er konnte nicht aufstehen und sich ihnen zuwenden. Er musste liegen bleiben, bis es vorbei war.
    Aber … wann würde es vorbei sein?
    Später, als er älter geworden war, hätte das Absurde dieser Situation ausgereicht, um ihn aller Schwierigkeiten zu entheben. Aber damals war es genau umgekehrt. Das |58| Groteske machte alles noch schlimmer, es hatte die gleiche Wirkung auf ihn wie Sophias Schenkel, ihre Brüste, ihren Bauch und sogar ihr dunkles, lockiges Schamhaar.
    Sie schrien weiter. Warum ließen sie ihn nicht in Ruhe? »Paul! Komm her! Paul!«
    Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als zu fliehen. Das wusste er, als er Elena und Rolf auf sich zulaufen sah. Sie würden ihn aus dem Sand ziehen, ihn vor sich her stoßen, ihn ins Wasser tauchen. »Du hast es dringend nötig!« Und sie würden lachen. Lachen und lachen! Und Sophia würde kichern und kichern …
     
    Ich habe keine Lust mehr. Tödlich langweilig ist es, sich mit nichts als den Erinnerungen zu beschäftigen. Tun das nicht nur alte Frauen? Bin ich etwa unterwegs zu denen, die in der Gegenwart nichts mehr finden und deswegen in der Vergangenheit herumkramen? Andererseits – als Georg noch neben mir am Strand lag, habe ich mich auch oft mit Erinnerungen beschäftigt. Wenn auch mit anderen. Mit Erinnerungen, die alle etwas mit Georg zu tun hatten. Und wenn ich es recht bedenke, habe ich mich währenddessen auch oft gelangweilt.
    Wenn Georg ein Buch vor der Nase hatte, ließ er sich nicht gern ansprechen. Meine Unterhaltung bestand also vor allem darin, mich über Georg zu ärgern, weil er nicht mit mir redete, nicht mit mir Ball spielen wollte und sogar die Augen verdrehte, wenn ich ihn bat, mir den Rücken einzucremen. Ich habe mich vermutlich mit ihm genauso gelangweilt wie ohne ihn, nur eingestanden habe ich es mir |59| nicht. Warum auch? Es hätte nichts genützt, ich musste neben ihm ausharren. Georg wollte immer erst gegen Abend ins Ferienhaus zurückkehren. Sonst lohnte sich der Weg zum Strand nicht, meinte er.
    Wie schön, dass es nun nur noch darauf ankommt, was sich für mich lohnt. Ich kann ganz alleine entscheiden, ob ich heute Abend etwas kochen will oder einfach zur nördlichsten Fischbude Deutschlands fahre, um Matjes mit Bratkartoffeln zu essen. Ich glaube, ich habe mich schon entschieden. Bei Gosch in List werde ich diesmal alle Zwiebelringe essen, die mit dem Matjes serviert werden. Georg konnte es nicht leiden, wenn ich nach Zwiebeln roch. Mir geht’s wirklich prima, weil mir das heute ganz egal sein kann.
    Es tut gut aufzustehen. Hoffentlich hat niemand beobachtet, wie ich mich in die Höhe gequält habe. Ich muss wirklich mehr Sport treiben, um nicht steif und unbeweglich zu werden. Aber erst mal fahre ich zum Königshafen von List, wo Gosch das betreibt, was er immer noch eine Fischbude nennt. Ob ich mich statt für einen Matjeshering für eine Auster entscheide? Mal sehen. Elena war damals die Einzige, die wusste, wie eine Auster aussah. Paul hatte noch nie was von Austern gehört. Und alle anderen fanden es dekadent, so

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