Reif für die Insel
denkt, ich schaue zurück, weil er mich interessiert! Ich will wirklich nur wissen, ob er mir folgt. Tatsächlich macht er Anstalten, in seine Hosen zu steigen. Ich muss mich beeilen. Das fehlte noch, dass ich mich von einem Fremden anquatschen lassen muss, nur weil ich allein am Strand bin! Von wegen, jede Gelegenheit nutzen! Wenn überhaupt, werde ich einen Flirt mit Raffael Sielmann ins Auge fassen. Jetzt werde ich zusehen, dass ich so schnell wie möglich den Parkplatz erreiche. Und dann ab nach List zu Gosch!
Paul gehört zu denen, die erreichbar sein müssen. Einfach nicht ans Handy gehen, das kommt nicht in Frage. Leider gehören diejenigen, die ihn anrufen, zu denen, die ihre Nummer unterdrücken, damit sie nicht Pauls Selektion zum Opfer fallen. Er liegt noch auf dem Bauch, als er endlich sein Handy aus der Tasche gefingert hat. Erst in die linke Hand, dann in die rechte. Und wenn der rechte Daumen die grüne Taste drückt, gehört das Handy ans linke Ohr. Auch seine Telefongespräche sind symmetrisch.
|69| »Hallo?« Paul nennt niemals seinen Namen.
»Warum klingt deine Stimme so abgehetzt? Bist du mal wieder ins Telefon gefallen, statt es ans Ohr zu nehmen, wie es andere Leute tun?«
Uschi nennt am Telefon auch nie ihren Namen. Jedenfalls dann nicht, wenn sie mit Paul telefoniert. Schließlich kennt er ihre Stimme seit gut vierzig Jahren.
Er rappelt sich hoch, klemmt sich, als er auf den Füßen steht, das Telefon in die linke Halsbeuge, damit er beide Hände frei hat, um die Shorts in die Höhe zu ziehen. Als er es geschafft hat, ist er schweißgebadet. Das Handy rutscht von seiner gut geölten Haut und landet am Boden. Vielleicht hätte er es rechtzeitig an die rechte Halsbeuge nehmen sollen, er weiß doch, wie hilfreich die Symmetrie ist. Uschis Stimme schrillt aus dem Sand, als wüsste sie, dass sie gegen die Gefahr, versehentlich verbuddelt zu werden, anschreien muss.
»Ich weiß, was du vorhast! Bist du wahnsinnig geworden? Das kannst du doch nicht machen!«
Paul klaubt das Handy aus dem Sand, schüttelt es und stellt bedauernd fest, dass es noch funktioniert. Von Sophia ist nichts mehr zu sehen, er muss sich beeilen.
»Warum sagst du nichts?«
Paul zieht sich sein T-Shirt über, Uschis Stimme wandert durch ein Armloch und kommt am Halsausschnitt wieder heraus. Er würde sie gern durch das andere Armloch zurückstecken. »Es gibt nichts zu sagen.«
Er schüttelt den Sand aus seinen Schuhen und wirft sie in die Tasche.
|70| »Hast du vergessen, was ich alles für dich getan habe?«
»Ich kann nur noch daran denken, was du mir alles angetan hast.«
Paul knüllt das Badelaken zusammen und wirft es den Schuhen hinterher.
»Was sind das für merkwürdige Geräusche im Hintergrund?«
Paul schultert die Tasche und stapft los. »Das ist das Meer.«
»Du bist schon auf Sylt?«
»Ja.«
»Ich hätte es mir denken können.«
»Ja, das hättest du.«
Er blickt über das Dünental, als er auf der Spitze des Weges steht, der den Strand mit dem Parkplatz verbindet. Sophia ist eine winzige Gestalt, die in den nächsten Augenblicken hinter einer Biegung verschwinden wird.
»Das kannst du nicht machen, Paul!«
»Doch, ich kann.«
Uschis Stimme wird immer schwerer, er würde das Handy gern in die Tasche stecken, um schneller ausschreiten zu können.
»Du machst alles kaputt!«
Nun muss er sogar stehen bleiben. Seine Ausflüchte verhaken sich mal wieder in Uschis Forderungen, er ist in den vergangenen vierzig Jahren zu oft auf die Nase gefallen, nachdem er sich in diesem Gestrüpp verheddert hatte.
»Du hast den Rosenkrieg gewonnen, Uschi! Reicht dir das nicht? Du hast das Haus, den Jaguar, das Segelboot. Wann wirst du endlich zufrieden sein?«
|71| »Du weißt, dass ich im Grunde immer nur eins wollte!«
Sophia ist nicht mehr zu sehen. Mit langen Schritten rutscht Paul auf der sandigen Spur die Düne hinab. Danach, auf den hölzernen Stegen, wird das Laufen leichter. Oder … es wäre leichter geworden, wenn er seine Schritte nicht zu groß genommen hätte. Er ist noch nicht geübt im Abmessen seiner Schritte, ist einfach zu lange vorangedrängt worden, jeder Schritt so groß wie der Druck, unter dem er gemacht wurde.
Auch der kleine Junge, der nach Paul die Düne herunterkommt, wird geschoben. Von seiner Mutter, der es nicht schnell genug geht, die einen Sonnenbrand bekommen hat und ihren Sohn mit Versprechungen antreibt. »In Westerland kaufe ich dir ein großes Eis.«
Anscheinend
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