Reif für die Insel
und zu |54| erwarten war, dass sie später von einem ganz neuen Körpergefühl sprechen würden. Paul hatte schon öfter die Anhänger der Freikörperkultur von neuer Freiheit reden hören, von den Zwängen, die mit der Kleidung abgelegt werden, und dass es mit der Förmlichkeit ein Ende haben müsse. Uschi hatte anscheinend auch schon davon gehört, denn sie führte diese Reden alle im Munde, als sie sich in Pauls Nähe abtrocknete.
Angeblich war sie ein neuer Mensch geworden, seit das Meer ihre nackte Haut umspielt hatte. »Die Leute am Textilstrand sind doch alle Spießer! Die wollen vor allem ihre teuren Badeanzüge zur Schau tragen. Scheiß-Konsumterror!«
Eine Stunde später dann zerbrach ihre Freundschaft, die seit Beginn des Schuljahres bestanden hatte. Noch genossen Uschi und Elena das Abenteuer in vollen Zügen, Rolf und Werner genossen vor allem ihren Mut und malten sich aus, was sie später über ihren Aufenthalt am FKK-Strand von List erzählen würden, und Bärbel saß lächelnd da, bestätigte zwar alle Vorteile des Nacktbadens, gab aber die Nähe zu Paul und Sophia nur auf, wenn sie Gefahr lief, spießig und kleinbürgerlich genannt zu werden. Dann lief sie hinter den anderen her ins Wasser, in das sie sich bis zum Hals duckte, wickelte sich anschließend in ihr Badetuch und wartete lange darauf, dass ihr Körper trocken wurde.
Paul hebt den Oberkörper an und stützt sich auf den Ellbogen auf. Dort drüben, in der Nähe des Wassers, wo die junge Familie mit den drei kleinen Kindern ihre Decken ausbreitet, muss es gewesen sein. Sophia hockte unglücklich |55| auf ihrem Badelaken, so allein und schutzlos, so nackt und verloren, dass er sich nicht traute, sich zu ihr zu setzen. Erst recht nicht, als sie wieder versuchte, ihre Angst und Verlegenheit wegzukichern. Sie kicherte, weil der Sand heiß war, der Wind ihn in ihr Gesicht blies und eine Möwe sich in ihrer Nähe niederließ und gierig ihren Proviant anstarrte. Mittlerweile weiß Paul, warum Mädchen kichern, aber es gefällt ihm heute genauso wenig wie früher.
Elena kam angelaufen. »Komm ins Wasser, Sophia! Es ist einfach dufte.«
Dufte! Das war das Wort, mit dem die Blumenkinder und die, die sich gern dazu zählten, ihre Zustimmung ausdrückten. Dufte war alles, was vorher schockierend gewesen war: Aufklärung, antiautoritäre Erziehung, Miniröcke und vor allem Blue Jeans, das Ausdrucksmittel einer antibürgerlichen Weltanschauung.
Herausfordernd stand Elena da, die Hände in die Hüften gestützt, ihre kleinen festen Brüste größer geatmet und den Bauch vorgereckt. »Nun komm schon!«
»Später«, sagte Sophia. »Ich habe noch keine Lust.« Sie zog die Beine an, umschlang die Knie mit beiden Armen und beugte sich so weit vor, dass nur der Ansatz ihrer Brüste zu erkennen war. Während Elena sie weiter bedrängte, griff sie automatisch an den Hinterkopf, um den Pferdeschwanz zu straffen, aber schnell ließ sie die Arme wieder sinken und legte sie erneut um ihre Knie. »Mir ist das Wasser viel zu kalt.«
»Mir auch«, sagte Bärbel und zog sich ihr Badetuch enger um den Körper.
|56| Sophia warf ihr einen Blick zu, der zeigte, wie dankbar sie Bärbel für die Solidarität war, und Bärbel erwiderte ihren Blick, denn sie war Sophia genauso dankbar.
»Und du?« Elena sah Paul provozierend an. »Ist dir das Wasser auch zu kalt?«
Paul nickte nur. Reden konnte er nicht, er brauchte seine ganze Kraft, um sich zu konzentrieren, um still auf dem Bauch liegen zu bleiben und niemanden sehen zu lassen, wie er auf Sophias Nacktheit reagierte. Kaltes Wasser wäre genau das Richtige gewesen, aber wie sollte er die zwanzig Schritte zum Meer bewältigen?
Auch jetzt dreht er sich auf den Bauch und schließt die Augen. Genauso hat er vor vierzig Jahren dagelegen. Mit aller Kraft auf das konzentriert, was nicht sein durfte. Wenn er sich recht erinnert, hat er damals sogar gebetet.
Bitte, keine Erektion! Nicht jetzt!
Doch Sophias Bild blieb vor ihm stehen. Die Rückseite ihrer Schenkel, weiß und glatt, ihre nervösen Finger, die auf den Schienbeinen flatterten, ihre Füße, die sorgfältig den geheimen Punkt ihres Körpers verstellten und ihn gerade deshalb so verlockend machten, ihre Brüste, die während einer kleinen Bewegung, durch einen winzigen Schwung, neben ihren Schenkeln aufgeblitzt waren und die sich während ihrer gedankenlosen Handbewegung zum Pferdeschwanz angehoben und ihre Schönheit verraten hatten. Es blieb ihm nichts anderes
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