Reif für die Insel
recht, als sie mir zuredete, ein Cabrio zu kaufen. Auf dem Weg von Braderup nach Westerland macht mich der Wind so frei, als hätte ich die Strecke über den Wolken |89| zurückgelegt. Hoffentlich bekomme ich noch eine Karte für Davidsons Lesung! Es wäre mir nicht angenehm, die Gefrons darum bitten zu müssen. Erst recht nicht Johnny Gefron. Der soll meinetwegen Georg einen Porsche besorgen, aber bitte nicht mir eine Eintrittskarte!
Gegenüber der Badebuchhandlung steht ein Mann, groß, schlank, dunkelhaarig, attraktiv. Paul wendet sich erschrocken ab und starrt in ein Schaufenster, in dem der Mann sich spiegelt. Raffael Sielmann? Tatsächlich! Er steht da wie ein gelangweilter Tourist, der sich fragt, ob das Wetter gut genug ist, um zum Strand zu gehen. Was macht der Kerl auf Sylt? Jeder weiß zwar, dass er eine besondere Beziehung zu der Insel hat, aber auch, dass er hier nicht gern gesehen wird. Seit er diesen unsäglichen Zukunftsroman geschrieben hat, in dem Sylt ein Opfer seiner erfolgreichsten Geschäftsleute und Investoren wird! Die Sylter Touristikbranche hätte »Stürmische Flut« am liebsten auf den Index setzen lassen. Erst recht, als Raffael Sielmann behauptete, die Idee sei wahren Begebenheiten entsprungen. Seine Patentante habe Haus und Hof an skrupellose Investoren und Geschäftsmänner verloren, die ihr Versprechungen gemacht hatten, die später nicht eingehalten wurden. Als sie das erkannt hatte, war sie ins Watt gegangen, und Raffael Sielmann hatte seiner Trauer um sie in dem Pamphlet Luft gemacht, in dem aus der ganzen Insel ein Sündenpfuhl geworden war.
Paul erinnert sich genau, dass er in einer Zeitung gelesen hat, Raffael Sielmann wolle nie wieder einen Fuß auf die Insel setzen. Was also macht er hier?
|90| Paul dreht sich zurück, schlendert unauffällig weiter und sorgt dafür, dass er Sielmanns Gestalt nicht aus den Augenwinkeln verliert. Der steht da und starrt das Schaufenster der Badebuchhandlung an. Warum?
Paul spaziert durch sein Blickfeld, aber Sielmann reagiert nicht. Soll Paul sich ärgern oder froh darüber sein? Er geht zu dem Hotdog-Stand, der vor dem Kaufhaus Jensen aufgebaut ist, dort dreht er sich um. Raffael Sielmann steht immer noch da. Für Paul hat er keinen Blick. Eigentlich kein Wunder. Nachdem die beiden einander vorgestellt worden waren, haben sie sich nur ein einziges Mal gesehen. Und das ist viele Jahre her!
Paul hat nur eins seiner Bücher gelesen: Sielmanns Abrechnung mit Sylt. Das war zu der Zeit, als er ihn hasste, weil Uschi sich in ihn verliebt hatte. Es war nicht ihre erste Affäre, aber die erste, die bedrohlich für ihre Ehe war. Zum Glück hat Sielmanns Frau der Sache schnell ein Ende gemacht. Rosi war ja eifersüchtig wie keine zweite. Seitdem gibt es keinen Hass mehr in Paul. Aber von Sympathie kann nach wie vor keine Rede sein.
Der Buchhändler sieht mich durch seine winzigen Brillengläser freundlich an. »Eigentlich ist die Lesung ausverkauft. Aber gerade ist eine Karte zurückgegeben worden. Von einem Kunden, der früher seinen Urlaub abbrechen musste, weil die Schwiegermutter krank geworden ist.«
Was für ein Glück! »Wissen Sie, warum David Davidson nicht mehr der ›Autor ohne Gesicht‹ sein will?«
Der Buchhändler schüttelt den Kopf, ohne sein Lächeln |91| zu verlieren. »Ich weiß nicht einmal, warum ich der Veranstalter dieser Lesung sein darf.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie David Davidson nicht kennen?« Natürlich glaube ich ihm kein Wort.
Das Lächeln des Buchhändlers wird prompt geheimnisvoll. »Noch nicht!«, antwortet er und betont das erste Wort nachdrücklich. »Aber er wird gleich zu mir kommen für ein Vorgespräch.« Anscheinend durchschaut er auf der Stelle, welche Gedanken hinter meiner Stirn rasen. »Machen Sie sich keine Hoffnungen! Er wird nicht durch die Ladentür hereinkommen.«
Voll erwischt! Aber das lasse ich mir natürlich nicht anmerken. So desinteressiert wie möglich betrachte ich die Sylt-Literatur. »Dann wissen Sie vermutlich auch nicht, warum er ausgerechnet auf Sylt sein Inkognito aufgibt?«
Der Buchhändler schüttelt den Kopf. »Aber ich werde ihn danach fragen. Vielleicht verrät er mir dann auch, warum ausgerechnet ich die Eintrittskarten verkaufen und den Büchertisch machen darf.«
Der gute Mann ist richtig aufgekratzt. Vielleicht wird sich in wenigen Minuten herausstellen, dass David Davidson sein Cousin oder ein früherer Mitschüler ist? Mir scheint, dass der
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