Reif für die Insel
Wahrscheinlichkeit weitere unerledigte Arbeit finden wird.
Raffael Sielmann hebt den Kopf und lächelt mich an. Beschwingt ziehe ich einen der großen Korbsessel auf den Rasen, um dort die letzte Abendsonne zu genießen, wo ich dem Autor bei seiner Arbeit zusehen kann. Ja, ich muss es zugeben. Raffael Sielmann interessiert mich.
Paul tritt aus dem Hotel und sieht sich aufatmend um. Die Hitze ist am vergangenen Abend in Bewegung geraten, von einem frischen Wind aufgefächert worden. Dann setzte Regen ein, der bis in die frühen Morgenstunden anhielt. Nun sieht die Insel aus wie frisch gewaschen, und die Sonne kommt hervor, um alles zu trocknen.
Paul springt über eine Pfütze, dann läuft er in der Mitte der Strandstraße, wo es trocken ist, zum Meer. Viele Strandkörbe stehen verlassen da, erst ganz allmählich wächst das Vertrauen in einen schönen Tag wieder heran.
Er geht die Uferpromenade entlang, achtet darauf, dass sein rechter Fuß mitten auf den Bodenplatten landet und sein linker stets auf einer Fuge. Am Ausgang Friedrichstraße läuft er wieder in die Stadt hinein. Es ist kurz vor elf, der Touristenstrom verdichtet sich. Paul hält die Augen offen. Er betrachtet Person für Person die Schlange, die sich vor dem Eisstand gebildet hat, stellt zufrieden fest, dass die Summe der Wartenden eine gerade Zahl bildet, bleibt eine Weile vor Leysieffer stehen und lässt den Blick über die Tische wandern, die sich jeder Symmetrie entziehen, sieht durch das Schaufenster jeder Boutique und betrachtet die |87| Kundinnen im Verkaufsraum. Er spürt, dass die altbekannte Depression wieder in ihm heranwächst. Diese Schwäche, die Hilflosigkeit, die Willenslähmung. Jetzt nur nicht kapitulieren! Er braucht seine ganze Kraft für das, was er vorhat.
Gut, dass die Hitze ein Ende hat! Der Regen der vergangenen Nacht hat gut getan. Herrlich, diese frische Luft! Kalt in den Spitzen des Windes, aber noch warm auf seinen Schwingen. Besser, ich nehme eine dünne Jacke mit, die ich in den windstillen Ecken schnell ablegen kann.
Sind alle Türen verschlossen? Zu dumm, dass ich in der Nacht das kleine Fenster der Speisekammer vergessen habe! In der Kiste mit den Mineralwasserflaschen steht das Wasser, und die Kartoffeln musste ich heute Morgen zum Trocknen in die Sonne legen. Georg wäre so was nicht passiert. Aber zum Glück kann er auch nicht die Augen zum Himmel drehen und mich behandeln wie ein dummes Gör, das nicht mit einem nächtlichen Gewitter rechnet.
Ich glaube, ich nehme doch die dickere Jacke. Denn natürlich werde ich auch heute offen fahren. Wozu habe ich ein Cabrio?
Ist auch die Terrassentür verschlossen? Besser, ich schaue noch mal nach. Von Raffael Sielmann ist nichts zu sehen. Ruhe zum Arbeiten wird er erst haben, wenn die Gefrons wieder abgereist sind. Tonia rennt bereits mit einem Lappen durch den Garten und wischt alle Stühle trocken. Sicherlich hat sie auch ihre Yoga-Übungen längst absolviert und ist schon zum Bäcker nach Wenningstedt gejoggt, während ihr Mann noch auf der faulen Haut lag.
|88| Georg ließ es morgens auch gern langsam angehen. Vor elf kamen wir nie in Westerland an, wenn wir zusammen einkaufen wollten. Aber das ist ja zum Glück vorbei. In diesem Sommer kann ich aufstehen, kaum dass ich aufgewacht bin. Georg beschwerte sich immer bitterlich, wenn ich im Bad oder in der Küche rumorte, solange er noch schlafen wollte. Also musste ich neben ihm liegen bleiben, bis er mir mit einem Blinzeln zu verstehen gab, dass es ihn nicht stören würde, wenn ich mich nun erhob und das Frühstück zubereitete. Trotzdem musste ich dann noch eine Weile mit hungrigem Magen darauf warten, dass er in der Küche erschien. Nur einen Kaffee habe ich vorher immer schon heimlich getrunken. Aus einem alten Kaffeebecher, der, wenn Georg am Frühstückstisch erschien, verstohlen in die Spüle wanderte. Georg konnte es nicht leiden, wenn mein Teller bereits überkrümelt war und meine Tasse einen dunklen Grund hatte.
Habe ich das Schlafzimmerfenster nach dem Lüften wieder geschlossen? Und die Gardinen zugezogen, damit niemand die wertvolle Ikone über der Kommode sieht, die zum Einbrechen geradezu einlädt? Ich möchte wissen, warum Georg die Ikone nicht mitgenommen hat. Mir hat sie nie gefallen. Wahrscheinlich steht die junge Frau auch nicht auf Ikonen. Ob sie Georg das Frühstück macht und dann so geduldig auf ihn wartet wie ich?
Herrlich, der Fahrtwind in meinen Haaren! Elena hatte wirklich
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