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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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Buchhändler sich ähnliche Gedanken macht. Ich kann verstehen, dass diese Lesung zu den Höhepunkten seines Buchhändlerlebens zählt.
    Trotzdem behalte ich meine aufgesetzte Gemütsruhe bei. »Ich hätte gern einen Roman von Raffael Sielmann. Und natürlich das neueste Buch von David Davidson. Ich hoffe, er wird es mir heute Abend signieren.«
    |92| Der Buchhändler schiebt sich durch die Kunden in den hinteren Teil seines Ladens, ich versuche ihm zu folgen. Vor dem Regal mit den Kinderbüchern findet sich das Science-Fiction- und Fantasy-Angebot. »›Stürmische Flut‹ führe ich nicht. Aus Prinzip! Es wird auch selten verlangt. Wer auf Sylt wohnt oder Urlaub macht, will nichts davon lesen, wie korrupt die Sylter Gesellschaft angeblich in einigen Jahren sein wird und wie geldgierig die Kaufmannschaft der Insel.«
    Ich nehme ein Buch zur Hand, das er mir hinhält. »›Windräder‹. Das ist sein bestes.«
    Ich versuche sein Lächeln zu ergründen, das nun durch und durch geschäftsmäßig ist. »Sie scheinen nicht viel von Raffael Sielmann zu halten?«
    Er zuckt die Schultern. »Ich bin kein Freund von Zukunftsromanen. An Sielmann stört mich, dass er Davidson zu imitieren versucht. Seine knappe Sprache und seine ungewöhnlichen Sprachbilder. Außerdem greift auch Sielmann gern auf Erinnerungen aus den sechziger Jahren zurück, genau wie Davidson. Er ist mir nicht authentisch genug. Aber vielleicht bin ich auch voreingenommen. Ich kenne ihn noch aus der Zeit, in der er auf Sylt seine Patentante besuchte. Schon damals hat er davon geträumt, Schriftsteller zu werden.«
    »Wirklich?« Es fällt mir schwer, mir Raffael Sielmann als Heranwachsenden vorzustellen, der verwegenen Träumen nachhängt. Warum eigentlich? Weil er mir so zielstrebig erscheint? Vielleicht auch, weil ich glaube, dass Träumer keine Zukunftsromane schreiben.
    »Okay, ich nehme es.«
    |93| Der Buchhändler scheint enttäuscht zu sein, anscheinend hat er mir einen besseren Geschmack zugetraut. Schließlich kennt er mich seit Jahren und hat mir schon so manche anspruchsvolle Urlaubslektüre empfohlen. »Raffael Sielmann hat ein gutes Gespür für Öffentlichkeitsarbeit«, sagt er und lächelt auf einmal versöhnlich. »Ich glaube, er hat das alles gar nicht so gemeint, was er in ›Stürmische Flut‹ prophezeit hat. Ein PR-Gag war das, und zwar kein schlechter. ›Stürmische Flut‹ war kein Verkaufsschlager, aber der Name Raffael Sielmann war plötzlich in aller Munde. Welcher Autor von Zukunftsromanen schafft das schon? Von denen werden nicht viele berühmt.«
    »Jules Verne war berühmt«, werfe ich ein.
    Der Buchhändler lacht spöttisch. »Ja, dem wollte er nacheifern. Sielmann soll sich sogar selbst gelegentlich als den zweiten Jules Verne bezeichnet haben.«
    Er weist zu dem Tisch, auf dem das Gesamtwerk David Davidsons aufgebaut ist. Das neueste Buch nimmt den größten Platz ein. Mehrere Stapel sind aufgeschichtet worden. Während ich den Titel betrachte, greifen drei Kunden danach und tragen das Buch zur Kasse. Ich muss das unbedingt Elena erzählen. Vielleicht kann sie mir erklären, warum ich plötzlich diese Hemmung verspüre? Irgendwas hindert mich, auf dieses Buch zuzugehen. Es berührt etwas in mir, ganz tief in mir drin. Ich weiß nicht, was es ist. Ein vergessenes Glück? Ein kindliches Wunder? Oder eine schlechte Erfahrung, die noch gut genug ist, dass sie mich prägen kann? Ich weiß nicht, wie lange ich den Titel angestarrt habe, bevor ich mich entschließen konnte, das Buch |94| zur Hand zu nehmen und damit zur Kasse zu gehen. Wenn wir das nächste Mal telefonieren, muss ich unbedingt mit Elena darüber reden.
     
    Paul sieht Raffael Sielmann verwundert hinterher. Urplötzlich hat er seinen Platz gegenüber der Buchhandlung aufgegeben und ist mit zügigen Schritten zum Ende der Friedrichstraße gegangen. Dort, am Kaufhaus Jensen, biegt er rechts ab. Mit diesem eleganten Schwung, dieser kurzen Bewegung des Kopfes in den Nacken, dem Blick, der über alles hinweggeht, was sich vor ihm duckt. Uschi verliebte sich Hals über Kopf in diese Geschmeidigkeit, aber Paul bemerkte es erst, als ihm Raffael Sielmann ständig als leuchtendes Beispiel vorgehalten wurde. Er war distinguierter als Paul, selbstbewusster, forscher. Raffael Sielmann fuhr sich immer mit der rechten Hand durchs Haar, er war auf keine Symmetrie angewiesen. Wäre Rosi doch damals großzügiger oder unaufmerksamer gewesen, dann hätte Pauls Ehe nicht noch zehn

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