Reif für die Insel
beobachtet zu werden. Die beiden kennen ja Raffaels Frau. Und dass die extrem eifersüchtig ist, hat sich sogar schon bis zu mir rumgesprochen. Er wusste, dass ich die Absicht hatte, mir heute Morgen in der Badebuchhandlung eine Eintrittskarte für die Davidson-Lesung zu kaufen. Und außerdem eins seiner Bücher. Das habe ich ihm in List beim Matjesessen erzählt. Ist das nicht total romantisch? Er ist meinetwegen nach Westerland gefahren! Um mich dort zu treffen! Warum er durch den Hintereingang in die Buchhandlung gekommen ist, weiß ich allerdings nicht. Das wollte er nicht verraten. Er hat nur gesagt, dass er den Buchhändler von früher kennt. Und deswegen kennt er auch diesen Hintereingang. Aber dann …«
Wieso ist Elenas Mailbox schon voll? Ich habe doch noch gar nicht alles erzählt. Okay, ich versuch’s im Festnetz. Ich weiß zwar, dass sie nicht zu Hause ist, aber sie hat sicherlich den Anrufbeantworter eingeschaltet. Hoffentlich hört sie die Mailbox und den AB in der richtigen Reihenfolge ab.
»Also – er hat dann den Buchhändler nicht begrüßt, obwohl |101| er ihn jahrelang nicht gesehen hat. Es war ihm wichtiger, mit mir ans Meer zu gehen und am Strand entlangzulaufen. Zum Glück hat der Buchhändler gar nichts von Raffaels Besuch mitbekommen. Der war gerade damit beschäftigt, das Plakat der Davidson-Lesung zu überkleben. Dabei hat ihm jemand geholfen, dem das Ganze anschließend in den Haaren klebte. Zum Totlachen!
Raffael wird dem Buchhändler später einen Besuch abstatten. Der herrliche Spaziergang mit mir war ihm wichtiger. Ist das nicht großartig? Und man stelle sich vor, was sich während unseres Gesprächs herausgestellt hat! So ein Zufall! Raffael Sielmann ist Werners Halbbruder — Werner, der damals auf Sylt diesen schrecklichen Badeunfall hatte. Jahrelang hat er im Wachkoma gelegen, bis er endlich sterben durfte. Der arme Kerl! Natürlich haben wir auch über Paul geredet. Klar dass Raffael kein gutes Haar an ihm ließ. Nun, man muss das verstehen. Er glaubt, dass Paul schuldig ist am Tod seines Halbbruders. Und dass Paul damals noch sehr jung war, fast noch ein Kind, das lässt er nicht gelten. Er ist voller Hass auf Paul. Nach so vielen Jahren noch!
Ich habe versucht, ihm diesen Hass auszureden, aber er hat sofort dichtgemacht. Wir haben dann lieber über was anderes geredet. Ich habe ihm von Georg erzählt, von meiner Ehe. Und er hat gesagt, dass er mich bewundert, weil ich es geschafft habe, einen Schlussstrich zu ziehen. Anscheinend hat er selbst das bisher vergeblich versucht. Ich hätte ihm natürlich sagen können, dass nicht ich mich von Georg getrennt habe, sondern dass er mich wegen einer |102| Jüngeren verlassen hat. Aber man muss es mit der Ehrlichkeit auch nicht zu weit treiben, oder? Elena, du hättest ihm das an meiner Stelle auch nicht verraten. Ich habe mich viel besser gefühlt in der Rolle einer Frau, die den untreuen Gatten aus dem Haus geworfen hat. Dass ich nur durch deine Unterstützung zu meinem heutigen Selbstbewusstsein gekommen bin, habe ich ihm auch nicht gesagt. Wenn ich nicht von meiner besten Freundin angestachelt worden wäre, hätte ich nicht darauf bestanden, das Haus in Braderup zu bekommen. Und ohne dich hätte ich jetzt vermutlich das Selbstbewusstsein einer Weinbergschnecke. Eine verlassene Frau! Ausgetauscht gegen eine Jüngere! Aber du kannst ganz beruhigt sein. Raffael Sielmann hat mich als starke, unabhängige Frau erlebt. Ich habe das gut hingekriegt!
Besetztzeichen! Puh, jetzt habe ich auch Elenas AB vollgequatscht. Eigentlich wollte ich ihr noch sagen, sie solle sich bei mir melden, sobald sie ihn abgehört hat. Aber das wird sie sowieso tun. Hoffentlich ruft sie nicht ausgerechnet heute Abend an, wenn ich auf der Davidson-Lesung bin. Ich freue mich ja schon so darauf! Ich kann es gar nicht abwarten zu erfahren, was er für ein Typ ist. Groß, schlank, dunkelhaarig, attraktiv. Hoffentlich habe ich den gleichen Geschmack wie Tonia Gefron.«
Das große, helle Gebäude scheint von wohltuender Symmetrie zu sein. Seit er erwachsen ist, hat Paul nie gern ein Haus betreten, das ohne Gleichmaß ist. Sein eigenes hat die Haustür in der Mitte und rechts und links je drei Fenster. |103| Uschi wollte aus den drei Fenstern auf der linken Seite ein einziges großes machen. Und sie hatte recht. Der Ausblick aus dem Esszimmer wäre freier gewesen, der ganze Eindruck großzügiger. Trotzdem hat Paul sich durchgesetzt. Er wollte ein
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