Reif für die Insel
wurden. Er legt einen Zwanzig-Euro-Schein hin, steckt das Zwei-Euro-Stück, das er zurückerhält, in die rechte Jackentasche und die Eintrittskarte in die linke.
Diesmal entscheidet er sich für die rechte Eingangstür. Neben der letzten der rot gepolsterten Reihen bleibt er stehen und betrachtet die Bühne. Abweisend sieht der dunkle Vorhang aus, das Licht konzentriert sich auf die Stuhlreihen, die Bühne liegt im Schatten, kalt und unbehaglich.
Nur wenige Zuhörer sitzen schon in den Reihen, einige stehen in den Gängen und unterhalten sich, vor der Bühne steckt eine kleine Gruppe die Köpfe zusammen. Paul erkennt sie sofort. Die Gefrons und Raffael Sielmann. Nun tritt auch der Besitzer der Badebuchhandlung dazu, dem Paul nicht noch einmal begegnen möchte. Dass im Foyer viele Leute stehen, die sich Hoffnungen auf die Abendkasse gemacht haben, muss er seiner eigenen Ungeschicklichkeit anlasten. Hätte der Buchhändler nicht ausgerechnet ihn um Hilfe gebeten, hätte es im Schaufenster den Hinweis gegeben, dass die Lesung von David Davidson ausverkauft ist.
Tonia Gefron trägt ein grelles Kostüm und ein Make-up, das entstanden sein muss, während sie telefonierte, gleichzeitig ihrem Mann Anweisungen gab, sie korrigierte, während er sie ausführte, und dabei immer wieder ihre Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Aus der Entfernung kann Paul nicht erkennen, ob sie das Auge, das von der Haarsträhne verdeckt wird, überhaupt geschminkt hat. Johnny steht neben ihr, mittelgroß, gedrungen, breitbeinig. Das Bild eines Mannes, der zufrieden mit sich ist, mag seine |107| Frau ihm auch ständig etwas anderes vorhalten. Ihre schrille Stimme scheint an ihm vorbeizurauschen.
Auch Raffael Sielmann sorgt für eine Distanz zu Tonia Gefrons Erregung, die er mit der Eleganz ausdrückt, die ihm zueigen ist. Sehr aufrecht steht er da, die Arme vor der Brust gekreuzt, und sieht auf Tonia hinab, die sich vorbeugt, während sie auf ihn einredet, und dadurch kleiner erscheint, als sie in Wirklichkeit ist. Raffael blickt auf sie herab wie auf einen Terrier, der nach seinen Hosenbeinen schnappt, dem nur genug Ruhe entgegengesetzt werden muss, damit er damit aufhört und sich trollt. Lediglich der Buchhändler, der Tonia Gefron vermutlich nicht gut kennt, lässt sich von ihrer Nervosität anstecken. Die Fragen, die sie ihm ins Gesicht schießt, beantwortet er kurz und hastig, als müsste er einen Ball auffangen und so schnell wie möglich zurückwerfen. Es hält ihn kaum in dieser Runde. Immer wieder macht er ein paar Schritte zur Seite, sieht sich im Saal um, ohne jemandem ins Gesicht zu blicken. Mal schaut er durch seine kleinen runden Brillengläser, manchmal über den Rand seiner Brille hinweg. Es scheint nicht darauf anzukommen, was er sieht.
Paul hat unauffällig in jedes Gesicht gesehen, hat sich immer früh genug weggedreht, wenn sein Blick erwidert werden sollte. Langsam geht er zum Ausgang des Saals zurück. Dem Saalordner ist es lästig, ihn wieder ins Foyer zu lassen, nachdem seine Eintrittskarte bereits entwertet worden ist, aber er lässt Paul schließlich doch passieren.
Der Vorraum hat sich gefüllt, die Theke ist nun umlagert. Das Stimmengewirr ist so dicht, dass Paul das Gefühl |108| hat, es macht ihn taub und blind. Wie soll er in den lauten Gesprächen, dem Gelächter, den Zurufen das Gesicht finden, das er sucht? Er darf sich jetzt nicht ablenken lassen, nicht ins Glas schauen, nicht über die Köpfe hinweg.
Weil er so aufmerksam ist, bemerkt er die Veränderung sofort. In die Wartenden schiebt sich ein Keil, ihre Gestik und Körpersprache werden aufgeschäumt. Sie müssen ausweichen, werden auseinandergedrängt, finden sich in der Bugwelle aber rasch wieder zusammen. Wie ein Schnellboot durch kleine, hüpfende Wellen, so drängt sich etwas Hellblaues durchs Foyer und wühlt David Davidsons Publikum auf. Ein himmelblauer Hosenanzug!
Der Anzug ist längst im Saal verschwunden, als Paul in Bewegung kommt. Und als er endlich einen Blick über die Schulter des Saalordners werfen kann, sieht er, dass Raffael Sielmann sich aus der Gruppe vor der Bühne gelöst hat. Paul sieht sein heiteres Gesicht, den nachdrücklichen Blick, die geschmeidigen Bewegungen, das siegessichere Lächeln. Und er geht langsam auf die andere Seite des Saals, um die Symmetrie notdürftig wieder herzustellen. Obwohl er merkt, dass sie ihm an diesem Abend nicht helfen wird. Alles sieht danach aus, als wäre sein Plan gescheitert.
7.
Wieder
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