Reigen des Todes
seit Langem wieder eine ordentliche Arbeit gehabt hatte. Beide tranken auf den heutigen Tag, der anscheinend ein echter Glückstag war. Popovic kam nun ins Grübeln und fragte den Schöberl: »Sagen S’, Sie sind also gelernter Fleischhauer? Sie haben also eine richtige Ausbildung? Sind Sie eigentlich handwerklich geschickt?«
»Freilich. In der Fleischhauerei von meinem früheren Chef hab ich alles repariert, was kaputt geworden ist. Ich hab zwei goldene Hände. Das is mir in die Wiege g’legt worden.«
»Na, des is aber ein glücklicher Zufall. Wissen S’, mein lieber Schöberl, ich hab zwei linke Hände. Und beim Militär muss man ja auch net g’schickt sein. Da muss man grad einmal im Gleichschritt marschieren und seine Stiefel putzen können. Wenn man dann eine Offizierscharge hat, braucht man net einmal des mehr können …«
»Und warum haben S’ grad g’sagt, dass das ein glücklicher Zufall is?«
»Na, weil mein Dienstgeber, der Johann Schwarzer, jemand mit g’schickten Händen sucht. Wissen S’, bei uns in der Filmproduktion werden ja ständig Kulissen gebaut. Und deshalb brauch ma justament einen wie Sie.«
»Was? Was heißt des?«
»Na, dass ich Sie engagier! Sie kommen mit mir zur Saturn-Film mit. Dort stell ich Sie noch heut dem Schwarzer vor und Sie haben wieder a Hack’n. Wie ich den Schwarzer kenn’, wird er Sie außerdem fürs Erste im Atelier übernachten lassen. Damit haben S’ auch ein Dach überm Kopf.«
Der Schöberl konnte es nicht fassen. Tränen rannen ihm über seine faltige, unrasierte Visage. Der Popovic aber, dem der arme Kerl leidtat, rief laut: »Herr Ober, noch einen Liter Roten. Aber dalli!« Und leise fügte er hinzu: »Na, Sie haben aber nahe am Wasser gebaut. Da, trinken S’, Schöberl. Heut sauf ma uns an. Nicht aus Kummer, sondern aus Spaß an der Freud.«
IX/3.
Der Steffi war fad. Faul lag sie auf dem durchgelegenen Ehebett und beobachtete die im Sonnenlicht tanzenden Staubflankerln 68 . Durch das geöffnete Fenster drang gedämpft Lärm vom benachbarten Augustiner Markt ins Zimmer, und die Moravec stellte sich vor, wie sie da draußen jetzt über den Markt flanieren könnte. Ein bisschen Obst und Gemüse gustieren und vielleicht bei einem Knödelmann einen saftigen Semmelknödel kaufen. Sie dachte an die Zeit bei Mama Schmoll zurück und an ihre endlosen Streifzüge über den Naschmarkt. Dabei verging ihr die Lust aufzustehen, und sie begann einfach, ins Narrenkastl 69 zu schauen. Nachdem einige Zeit so vergangen war, rutschte sie zur Bettkante und angelte sich mit einer trägen Handbewegung eine illustrierte Zeitung, die am Fußboden lag. Es handelte sich um eine Ausgabe des Satireblattes ›Der Floh‹, das der Hansi letzte Woche einmal nach Hause gebracht hatte. Auf der Titelseite war eine riesengroße Karikatur von Bürgermeister Lueger zu sehen, der zu einem jüdischen Industriellen, der einen Scheck in der Hand hielt, sagte: Wannst a Geld hergibst, komm her, Jud!
Die Moravec musste schmunzeln. Erstens, weil Lueger wirklich fesch gezeichnet war und zweitens, weil sie Juden nicht mochte. Dieses Vorurteil hatten ihr die geistlichen Schwestern, von denen sie als Waisenkind aufgezogen wurde, beigebracht. Mit Schaudern erinnerte sich Steffi, wie Schwester Reingarda ihr und den anderen Mädchen erzählt hatte, dass Juden unseren Herrn Jesus Christus ermordet hatten. Warum aber wollte der schöne Karl – so wurde Lueger von seinen Verehrerinnen genannt – Geld von Juden? Die Antwort bekam die Moravec einige Seiten weiter. Ein ganzseitiges Inserat der Gemeinde Wien stach ihr ins Auge. Die Überschrift lautete: Steuerfreies Anlehen vom Jahre 1908 der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien im Gesamt-Nominalbetrage von K. dreihundertsechzig Millionen. Erste Teilemission: Nominale: K. zweihundert Millionen steuerfreies vierprozentiges Anlehen.
Weiter unten las die Moravec: Die Schuldverschreibungen lauten auf den Inhaber, sind vom 23. Juni 1908 datiert, in deutscher Sprache ausgestellt und tragen in Facsimile die Unterschriften des Bürgermeisters, eines Vizebürgermeisters und eines Mitgliedes des Stadtrates, sowie die eigenhändige Unterschrift eines Beamten der städtischen Hauptkasse; sie sind mit dreißig halbjährigen, am 1. Juni und 1. Dezember eines jeden Jahres fälligen Coupons und einem Talon versehen. Der erste Zins-Coupon ist am 1. Dezember 1908 fällig.
Die Moravec ließ das Blatt sinken, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie
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