Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reigen des Todes

Reigen des Todes

Titel: Reigen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
vorbereitete Fülle. Als sie prall wie Würste vor ihm auf dem Küchentisch lagen, begann er sie auch auf der anderen Seite zuzunähen. Ein Unterfangen, das sich mit den nun wieder sehr fetten Fingern als ziemlich schwierig erwies. Doch mit etwas Geduld und einigen weiteren Schlucken Rotwein gelang auch dies. Nun hatte er alles so weit vorbereitet: die Suppe, die gefüllten Gänsekrägen und den Reis als Beilage. Jetzt wärmte er doch Wasser am Herd, um sich ordentlich die Hände zu waschen. Dazu war es notwendig, einige Holzscheite in den Ofen nachzulegen.
    Mit seinen frisch gewaschenen Händen saß er nun da und schlürfte genussvoll den Tattendorfer Rotwein. Er trommelte mit den Fingern auf den Küchentisch und angelte schließlich die Taschenuhr hervor, um festzustellen, dass es erst sechs Uhr abends war. Das bedeutete, dass er noch mehr als eine Stunde Zeit hatte, bis seine Frau von ihrem Dienst im Schmerda’schen Haushalt heimkommen würde. Deshalb beschloss er, auf ein kleines Bier ins Café Sperl zu gehen. Da das Sperl gut besucht war, sehr viele Offiziere der nahen k.k. Kriegsschule sowie eine große Gruppe von sezessionistischen Malern waren anwesend, nahm er am Tisch des Cafetiers Adolf Kratochwilla Platz. Dieser brachte ihm persönlich das Bier, das er in kleinen Schlucken und mit großem Genuss trank. Zu einem Plausch mit dem Cafetier kam es jedoch nicht, da der Hausherr sich um die zahlreichen Gäste seines Kaffeehauses kümmern musste. Und so glotzte Nechyba eine Zeit lang ganz entspannt vor sich hin, bis vor seinem geistigen Auge die unbekannte Wasserleiche auftauchte. Einer Eingebung folgend, stand er auf, ging zu Kratochwillas Frau, die gerade ihren Posten als Sitzkassierin beziehen wollte und bat sie, telefonieren zu dürfen. Natürlich sah er auch Wilhelmine Schmoll, die ihn schüchtern grüßte. Da er sich noch immer über diesen Trampel ärgerte, der ihm nicht rechtzeitig gesagt hatte, wo die Moravec steckte, ignorierte er sie. Die Gattin des Cafetiers begleitete ihn zum Telefonapparat, der sich im Büro befand. Nechyba fragte nach dem Telefonbuch, suchte die Nummer des Café Landtmann und wählte sie. Den sich dort meldenden Ober bat er, den Herrn Redakteur Goldblatt auszurufen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er Goldblatt am Apparat hatte. Der Redakteur war äußerst ungehalten.
    »Nechyba! Sie stören mich mitten in einer höchst spannenden Tarockpartie. Können Sie nicht, wie jeder andere Mensch, einfach zu mir ins Landtmann kommen, anstatt mich mit den Mitteln der modernen Technik zu belästigen?«
    Der Inspector besänftigte Goldblatt und erzählte ihm kurz und bündig alles, was er über die Wasserleiche wusste.
    »So, so. Die Wasserleiche ist also erhängt worden? Das ist ja eine interessante Neuigkeit. Also wenn das so ist, schau ich morgen mit einem Zeichner in der Pathologie vorbei. Da schreib ich Ihnen was. Wär doch gelacht, wenn wir die Wasserleiche nicht identifizieren könnten … Und dem Mörder, falls es einen gibt, auf die Schliche kommen.«
    Nechyba war zufrieden. Er wünschte dem Redakteur einen schönen Abend sowie viel Glück beim Kartenspiel.
    »Verschreien Sie’s nicht, Nechyba, verschreien Sie’s nicht«, raunzte Goldblatt und legte grußlos auf. Nechyba lächelte und zahlte bei Frau Kratochwilla das Bier sowie das Telefonat. Beschwingt und voll Vorfreude auf das gute Abendessen ging er nach Hause. Von wegen nur Fressen und Saufen! Natürlich aß und trank er gerne! Aber seine Arbeit vernachlässigte er deshalb keinesfalls. Und was die Wasserleiche betraf, so hatte er mit dem Telefonat zumindest einen Tag gewonnen. Vielleicht würde nach dem Erscheinen des Artikels schon übermorgen jemand auftauchen, der den Unbekannten identifizieren konnte. Diese Perspektive freute den dicken Nechyba sehr.

II/4.
    Die Wasserleiche ging ihm nicht aus dem Kopf. Am Vortag war er mit einem Zeichner in der Gerichtspathologie gewesen und hatte mit dem anwesenden Arzt gesprochen. Dieser erzählte ihm, dass der Verstorbene eine zirrhotische, vom Suff gezeichnete Leber hatte. Das brachte Leo Goldblatt auf die Idee, ihn im Griasler-Milieu zu suchen. Deshalb stand Leo Goldblatt an diesem Mittwoch, dem 7. Oktober, entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten früh auf. Er kaufte sich eine Morgenausgabe und stieg in die Tramway ein. Gleich beim Leitartikel musste er schlucken. Mit gemischten Gefühlen las er:
    Der heutige Tag wird für alle Zeiten in der Geschichte der österreichisch-ungarischen

Weitere Kostenlose Bücher