Reigen des Todes
zu. Er stieg die wenigen Stiegen empor und trat in den Empfangsraum. Ein erstes ›Aha!‹ geisterte durch seinen Kopf. Die kräftigen Farben der Wandgemälde sprangen ihn förmlich an. Sie zeigten exotische Szenen und Tiere. Er kaufte sich für eine Krone eine Eintrittskarte und begann einigermaßen gespannt den Rundgang durch die Ausstellung. Einem Durchgang, der Keramiken präsentierte, folgten ein Raum mit Kinderkunst, ein kleiner Innenhof, ein Raum mit Plastiken des Bildhauers Franz Metzner sowie ein weiterer idyllischer Innenhof. All das berührte Goldblatt nicht besonders, die Skulpturen Metzners fand er sogar scheußlich. Als er danach den Plakatraum betrat, dessen vier Wände jeweils vom Boden bis zur Decke mit bunten Plakaten beklebt waren, war Goldblatt das zweite Mal verblüfft. ›Bunter Lärm und Indianerkunst‹ hatte ein Kunstkritiker die hier ausgestellten Exponate genannt. Goldblatt fand den Raum mit seiner Vielfalt an grafischen Ideen einfach faszinierend: ein Kaleidoskop künstlerischer Ausdruckskraft. Auch der nächste Raum beeindruckte ihn sehr. Hier waren ausschließlich Bilder von Carl Moll, dem Freund und Weggefährten Gustav Klimts, ausgestellt. Moll war in Wien kein Unbekannter, aber so eine geballte Präsentation seines Schaffens hatte Goldblatt noch nie gesehen. Minutenlang verharrte er vor dem Bild ›Mein Wohnzimmer‹. In einer Art Trance durchwanderte er die angrenzenden Räume, die ebenfalls Bilder der Malergruppe um Gustav Klimt präsentierten. Ein erregendes Kribbeln verspürte er bei Frantisek Kupkas ›Herbstsonne‹. Denn die rechte der drei nackten Frauen erinnerte ihn mit ihren üppigen Formen an seine verflossene Verlobte. »Wenn sie nur nicht so besitzergreifend gewesen wär«, ächzte Goldblatt. Ziemlich erregt ging er weiter. Im übernächsten Raum starrte er die wüsten Bilder und Skizzen von Oskar Kokoschka an. Eine animalische Kraft ging von diesen Kunstwerken aus. Und die in Vitrinen ausgestellten Blätter des Buches ›Die träumenden Knaben‹ versetzten den sonst so nüchternen Goldblatt in einen entzückten Traumzustand. Kokoschkas fiebrige Texte wie rot fischlein/fischlein rot, stech dich mit dem dreischneidigen messer tot reiß dich mit meinen fingern entzwei/dass dem stummen kreisen ein ende sei brachten bei dem Redakteur Saiten zum Klingen, die seit den Zeiten seines Germanistikstudiums verstummt gewesen waren. Den folgenden Raum, der klerikale Kunst von Kolo Moser zeigte, durchschritt Goldblatt teilnahmslos und trat in einen kleinen Hof, der der Friedhofskunst gewidmet war. Hier im Sonnenlicht atmete er kräftig durch und kam wieder zu sich. Die christlichen Symbole rundum bereiteten ihm, dem Atheisten jüdischer Abstammung, Unbehagen. Deshalb ging er rasch weiter und betrat nun eine Flucht von drei Räumen, die Theaterkunst von Kulissen über Kostüme bis hin zu Ausstattungsdetails zeigten. All das ließ ihn ziemlich kalt. Die nächsten beiden Räume waren vollgestopft mit Druckgrafiken und Zeichnungen, die zum Teil in Zweier- und Dreierreihen übereinander hingen. Sein Blick blieb auf Aktzeichnungen haften, die meist nur aus wenigen energischen Strichen bestanden. Sie stammten vom Meister persönlich: von Gustav Klimt. Angeregt von diesen Studien, betrat er den Folgeraum und blieb wie angewurzelt stehen: ein großer Raum voll mit Klimt-Werken. Gewaltige Bilder mit viel Blattgold – ein Rausch der Sinne, der Farben und Formen. Als Erstes fielen ihm die drei riesigen Porträts von sehr bekannten Damen der Wiener Gesellschaft auf. Die von Gustav Klimt gemalten Frauen – Fritza Riedler, Margarethe Stonborough-Wittgenstein und Adele Bloch-Bauer – verkörperten auf eine bis dahin von ihm noch nie so klar wahrgenommene Weise den Typ der modernen Frau. Sie waren alle drei kurzhaarig, vom Zwang des Korsetts befreit, in weite, wallende Gewänder gehüllt, deren Stoffe und Schnitte dem sezessionistischen Stil 78 entsprachen. Das auffallendste Bild war das von Adele Bloch-Bauer. Die Gattin des Zuckerindustriellen Ferdinand Bloch war in Ströme von Goldornamenten gebettet. Schmunzelnd musste Goldblatt an die böse Kritik seines Kollegen Eduard Pötzl denken, der zu diesem Bild folgenden Kalauer verfasst hatte: Das Porträt sei mehr Blech als Bloch. Ja, ja, der Pötzl … ein Wiener vom alten Schlag, der sich mit dem neuen Jahrhundert und seiner Kunst nicht so recht anfreunden wollte. Aufgekratzt bewunderte Goldblatt die anderen Klimt-Gemälde, wobei ihn vor allem
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