Reigen des Todes
›Der Kuss‹, ›Wasserschlangen‹, ›Die drei Lebensalter‹ sowie die ›Danae‹ beeindruckten. Sich mittlerweile als echter Klimt-Kenner fühlend, verweilte er fasziniert vor den fleischig-wollüstigen Schenkeln der Danae, zwischen denen sich ein Sturzbach von Gold ergoss. Es war aber nicht nur die erotische Ausstrahlung des Gemäldes, der sich Goldblatt nicht entziehen konnte. Es war auch etwas anderes, was ihn verweilen ließ. Irgendwie erinnerten ihn die üppigen Schenkel und die Verknüpfung von Wollust, Gier und Geld an die Steffi Moravec, die dralle Sitzkassierin in seinem ehemaligen Stammcafé. Und als er so ganz in sich versunken dastand und an die Moravec und den Vestenbrugg dachte, wurde er plötzlich angesprochen. »Na, Herr Redakteur … was schauen wir denn dem Mädel so fasziniert auf die Haxen?«
Goldblatt erschrak, drehte sich um und blickte in das zynisch grinsende Gesicht des Oberleutnant Dunzenberger, den er von früher aus dem Café Sperl – damals war dieser noch Fähnrich – kannte.
»Sie brauchen Ihnen nicht zu genieren, Herr Redakteur. Ich find das Bild auch ganz superb. Es hat so das gewisse Etwas. Wenn Sie verstehen, was ich meine. In der Zeitung haben S’, glaub ich, darüber geschrieben, dass das Bild ›ungesund‹ sei. Aber ich frag Sie, was soll schon ungesund an einem jungen, nackten Mädel sein, das gerade die Haxen spreizt?«
Goldblatt fand seine Fassung wieder und musste grinsen. Seine allgemeine Geringschätzung des k.u.k. Offizierskorps fand im Falle des Dunzenberger ausnahmsweise keine Bestätigung. Gut, er gab sich genauso gelangweilt und blöd wie seine Offizierskollegen. Doch das, was er sagte, hatte eindeutig Witz und vielleicht auch ein bisserl Geist. Und so fing Goldblatt mit dem Dunzenberger eine Konversation an, bei der sie weiter durch die Räume der Kunstschau wandelten. Der Oberleutnant eröffnete ihm, dass er heute einen freien Tag habe und dass er an seinen freien Tagen immer hierher in die Kunstschau komme. Weil da könne man famos Bekanntschaft mit Damen der feinen Gesellschaft beziehungsweise mit deren Töchterln machen. »Die sind ja alle ganz kunstnarrisch 79 .«
Goldblatt musste schon wieder grinsen. Der Dunzenberger war ein echter Filou! Und weil einem echten Filou, der des Öfteren auch im Café Sperl verkehrte, die Moravec sicher ins Auge gesprungen war, lenkte er das Gespräch in diese Richtung.
»Ja, die kleine Moravec«, räsonierte der Oberleutnant, »das ist vielleicht ein Früchterl 80 . Zuerst hat sie sich den Oberstleutnant Vestenbrugg geschnappt, dann hat’s dem Leutnant Popovic den Kopf verdreht. Als sie ihn stehen gelassen hat, hat er infolge dessen so arg gesoffen, dass er den Dienst quittieren musste. Und schließlich hat die kleine Moravec den Markgrafen Collredi beglückt, dem sie sicher einige schöne Stunden, aber letztendlich auch den Tod gebracht hat. Weil der hat sich wegen ihr mit dem Hauptmann Korenyi duelliert. Tja, und der Hauptmann Korenyi sitzt jetzt, zur Strafe, weil er den Collredi erschossen hat, da unten bei den Bosniaken. Das verdankt er ebenfalls der Moravec. Man möcht’s nicht glauben, was ein einziger Mensch für Unglück im Leben anderer verursachen kann …«
Als Leo Goldblatt nachfragte, wer denn der Leutnant Popovic sei, erzählte ihm Dunzenberger, dass das ein ehemaliger Kamerad war, der am Tag von Vestenbruggs Verschwinden ein Brieferl von der Moravec bekommen hatte. In ihm bat sie ihren Jugendfreund ganz dringend um Hilfe.
»Ich hab’s selbst in der Hand gehabt und gelesen, das Billet. Es war auf feinem Büttenpapier geschrieben … Der Popovic hat sich einen halben Tag und eine Nacht Urlaub genommen und ist hin zu ihr. Sie hat ihn so richtig verliebt gemacht. Der Popovic ist zu einem vollkommenen Minnesänger geworden. Dauernd hat er nur von der Moravec erzählt. Wie schön und wie grausam sie sei. Und weil sie ihn dann anscheinend nur mehr abgewiesen hat, hat er so gesoffen, dass er, wie bereits erwähnt, den Dienst quittieren musste. Seitdem hab ich vom Popovic nix mehr gehört.«
Als die beiden Herren etwas später im Kaffeehaus der Kunstschau einen kleinen Mittagsimbiss zu sich nahmen – Goldblatt ein Schinkenomelett und Dunzenberger eine Eierspeis –, ließ der Oberleutnant beiläufig folgende Bemerkung fallen: »Die Moravec hab ich übrigens gestern gesehen. Allerdings nicht in natura, dafür aber en nature.«
»Wie darf ich das verstehen, Herr Oberleutnant?«
»Na ja, die
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