Reigen des Todes
sondern sich aufs Gustieren und Einkaufen konzentriert. Mit Genuss hatte er die große, saftige Sellerieknolle, frische Eier und einen prächtigen Bund Petersil sowie Knoblauch und Zwiebeln erstanden. Danach war er noch auf einen Sprung bei Lotte Landerl, seiner Greislerin 75 .
»Ah, der Herr Inspector! Heute Nachmittag gar nicht im Dienst?«
»Ich bin eh viel zu oft im Dienst«, grantelte Nechyba. »Vor lauter Arbeit vergisst man fast, was einem eigentlich Freude macht.«
»Das Kochen und das Genießen, net wahr?«, schmunzelte die Landerl.
»Sie sollten zur Polizei gehen. So wie Sie die Leut’ durchschauen«, replizierte Nechyba. »Aber Sie haben recht. Heut Abend koch ich endlich wieder einmal. Dafür brauch ich sechs frische Eier und ein viertel Kilo Reis.«
Nachdem er bei der Landerl die restlichen Einkäufe getätigt hatte, ging er heim und begann mit dem Kochen. Dies geschah nach genauen Anweisungen und Rezepten, die ihm seine Frau Aurelia gegeben hatte. Die Basis für dieses gemeinsame Abendessen bildeten die Reste des Festmahls, die vorgestern im Schmerda’schen Haushalt übrig geblieben waren. Zum fünfundfünfzigsten Geburtstag hat es für den Hofrat Schmerda ein Ganslessen gegeben. Dafür hatte seine Köchin, Aurelia Nechyba, zwei prachtvolle Gänse, die trotz des kompletten Erscheinens aller Familienmitglieder nicht zur Gänze verzehrt werden konnten, in der Küche verarbeitet. Im Gegensatz zu ihrer Gewohnheit, die verbliebenen Reste an eine Schmauswaberl 76 zu verkaufen, hatte Aurelia Nechyba das übrig gebliebene Gänsefleisch nach Hause gebracht. Außerdem hatte sie auch noch die zwei Gänsekrägen mitgenommen, deren Haut sie oben am Kopf und unten am Halsansatz abgeschnitten, vorsichtig vom Rückgrat gelöst und über Kropf und Luftröhre nach oben abgezogen hatte. Diese zwei Gänsekrägen bereitete Nechyba nun zu. Eine Spezialität, die ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Und während er den Reis kochte, dachte er voll Ingrimm an die Wasserleiche, die noch immer nicht identifiziert war. Er beschloss, am nächsten Tag den Leo Goldblatt im Café Landtmann zu treffen und mit ihm sowie mit einem Zeichner die Wasserleiche in der Pathologie aufzusuchen. Bild und Beschreibung des Unbekannten sollte Goldblatt im Anschluss veröffentlichen. Wobei er dem Redakteur die rätselhafte Sache mit dem Erhängen und späteren Ertränken erzählen würde. So eine mysteriös ums Leben gekommene Wasserleiche könnte Goldblatt ohne Probleme in seinem Blatt unterbringen. Nach der Veröffentlichung würde sich hoffentlich jemand melden, der den Toten identifizierte. Während Nechyba sich das überlegte, montierte er mittels einer Fußschraube den gusseisernen Fleischwolf an der Platte seines Küchentisches. Er löste das Fleisch von den Knochen der Gänsestücke und drehte es durch den Wolf. Dabei musste er an den Oberstleutnant Vestenbrugg denken, dessen Leiche verstümmelt und gleichsam durch den Fleischwolf gedreht worden war. In einem Weidling 77 vermischte er nun mit bloßen Händen die Fleischmasse mit fein gehackten Zwiebeln, in Butter gebratenen, blättrig geschnittenen Knoblauchstücken, einem Esslöffel gehackter Petersilie und einem Teil des gekochten Reises. Gewürzt wurde das Ganze mit Salz, Pfeffer und einer Prise Paprika. Als dies getan war, wusch er sich im Lavoir mit kaltem Wasser die Hände, da er zu faul war, am Herd Wasser zu wärmen. Deshalb löste sich das Fett trotz massiven Seifeneinsatzes nicht völlig. Die noch immer leicht fettigen Finger wischte er gründlich am Küchenhandtuch ab und grinste dabei wie ein Lausbub. Das hätte seine liebe Aurelia nicht sehen dürfen! Danach holte er aus einer kühlen Ecke der Küche eine der dort gelagerten Weinflaschen. Es war ein Blauer Portugieser aus Tattendorf, einer Ortschaft südlich von Wien. Nechyba öffnete die Flasche, kostete und merkte mit Wohlgefallen den samtigen Abgang des Weines. Noch mehr entzückte ihn das zarte Beerenaroma, das sich nun auf seinem Gaumen entfaltete. Und das, obwohl er die Flasche gerade erst geöffnet hatte! Er nahm noch einen Schluck und seufzte zufrieden. Danach machte er sich auf die Suche nach einem Nähzeug. Nach einigem Herumkramen in der Wohnung fand er es. Er fädelte den Zwirn in die Nadel ein – was mit seinen noch immer ein bisserl fettigen Fingern gar nicht so einfach war – und nähte jeweils ein Ende der Gänsekrägen zu. In diese nun unten geschlossenen schlappen Hautschläuche stopfte er die
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