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Reigen des Todes

Reigen des Todes

Titel: Reigen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Draußen im herbstlichen Nieselregen machte sich Nechyba brüllend Luft. »So eine Riesensauerei hab ich mein Lebtag noch nicht gesehen! Diese Verbrecher, die das produziert haben, werde ich ausfindig machen und vor Gericht bringen. Solche Saurüssel! Und wenn nur einer … auch nur einer dieser Spitzbuben … sich der Verhaftung widersetzt, dann gnade ihm Gott!«

VII/4.
    Zischend ergoss sich Suppe über die kurz angebratenen Kalbsvögerln 88 . Ein wunderbarer Duft stieg auf, den Aurelia Nechyba wohlwollend zur Kenntnis nahm. Sie gab noch eine Prise Salz dazu und legte anschließend einen Deckel auf die Kasserolle. Und während die Kalbsvögerln bei nicht allzu großer Hitze vor sich hindünsteten, brütete Joseph Maria Nechyba in der Tramway düster vor sich hin. Am Karlsplatz stieg er aus und ging quer durch das verlassene, düstere Areal des Naschmarktes in Richtung Theater an der Wien, von wo er nur mehr wenige Schritte nach Hause hatte. Mit jedem Schritt, der ihn näher zu seiner Wohnung brachte, schien das Loch in seinem Magen – er hatte nichts zu Abend gegessen – größer zu werden. Voll Missmut malte er sich aus, wie er nun irgendein kaltes Nachtmahl in sich hineinstopfen würde. Seine Frau wusste, dass er abends dienstlich im Prater unterwegs war, deshalb würde sie auch nichts kochen. Außerdem stand sie sowieso den ganzen Tag über in der Küche der Familie Schmerda, um den Herrn Hofrat, seine Gattin und die drei mittlerweile erwachsenen Kinder zu bekochen. Als Joseph Maria Nechyba vor seiner Wohnungstür angekommen war und den Schlüssel ins Schloss steckte, stutzte er. Aus der Wohnung roch es nach gebratenem Kalbfleisch. Er hielt kurz inne, atmete den köstlichen Geruch ganz tief ein, und eine warme Welle von Glück überflutete sein Gemüt. Und so wie der Föhn an manchen Tagen die grauen Nebel über Wien fortblies, so verflog nun sein Ärger. Er sperrte auf, trat in die Küche und fand seine Frau lesend am Küchentisch sitzen. Wortlos schritt er auf sie zu und umarmte sie stürmisch. Sie schrie auf. »Au! Du bist ein Grobian, Nechyba!«
    Er ließ sie seufzend los, hängte die Melone an den Haken, zog sich Überzieher, Sakko und Schuhe aus, räumte alles gewissenhaft weg und schlüpfte hernach in seine Patschen 89 . Schnuppernd trat er nun an den Herd, nahm den Deckel von der Kasserolle und sah die Kalbsvögerln leise vor sich hinschmoren. Aurelia Nechyba schubste ihn zur Seite und befahl ihm, sich an den Tisch zu setzen und einen Augenblick Geduld zu haben. Sie nahm aus dem Rohr zwei vorgewärmte Teller, auf die sie jeweils ein Gupferl Reis sowie ein Kalbsvögerl anrichtete. Zum Abschluss goss sie auf jeden Teller noch einen Schöpfer Saft. Das liebevoll angerichtete Mahl wurde von Nechyba im wahrsten Sinne des Wortes verschlungen. Wobei er während des Essens über die Tatsache sinnierte, dass die ausgelösten unteren Kalbsstelzen wirklich wie gebratene Vögel aussahen. Das zart durchzogene Fleisch war butterweich. Delikat war auch der Saft, dem seine Frau ein Sauerrahm-Mehl-Gemisch sowie etwas Zitronenschale und einen Schuss Zitronensaft hinzugefügt hatte. Dadurch bekam der Saft eine pikante Note. All das hatte er von seiner geliebten Aurelia gelernt, die er im Sommer des Jahres 1903 infolge einer Verwechslung ihres gemeinsamen Lieblingsfleischhauers oder vielmehr aufgrund der Schusseligkeit von dessen Lehrbuben kennengelernt hatte 90 . Damals in seiner Junggesellenzeit war er ein kochender Autodidakt gewesen, der mit großer Leidenschaft, aber auch mit sehr unterschiedlichem Erfolg gekocht hatte. Mit Schaudern erinnerte er sich an diese Zeit, als ihm Rahmsaucen beim Kochen ausflockten, Fleischstücke manchmal zäh und trocken gerieten, Knödel sich im Knödelwasser zu einem zähen Brei auflösten und Einbrenn-Saucen von dicken, hässlichen Klümpchen verunstaltet waren. Über all diese Kochfehler konnte er heute nur mehr lächeln. Denn seitdem er verheiratet war, hatte ihm seine Frau das kleine Einmaleins der guten Küche beigebracht. Mittlerweile war er stolz darauf, dass sie ihm so weit vertraute, dass er alleine für gemeinsame Mahlzeiten kochen durfte. Und als die beiden Eheleute nach dem Abendessen ein Gläschen Weißwein miteinander tranken, erinnerte er sich voll Stolz an die gefüllten Gänsekrägen, die er erst unlängst zubereitet hatte. Die waren ihm so gut gelungen, dass seine Aurelia nach dem Essen ein »Na, das war ja in Ordnung« fallen gelassen hatte. Und während sie Wein

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