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Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Titel: Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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Insel bildete in einer unermeßlichen Acker- und Weidegegend, kein Gedanke ans Meer. Einmal auf einer seiner Expeditionen war er in das Waldstück eingedrungen, durch eine dichte Naturhecke, und überall hatten ihm vom Boden rotgelbe Fackeln entgegengezüngelt, die Pilze, die in unser beider Kindheit zwischen den Fichten neben der Kuhweide wuchsen und sprechend »Bärentatzen« gerufen wurden. Und dann? Sein Wald im anderen Land hier wurde von einem so schönen wie bösartigen Pilzvolk befallen, eben dem »Hallimasch«, welcher nicht nur die Bärentatzen auffraß, sondern, in Jahresfrist, den ganzen Baumbestand.
    Abgesehen von diesem Verlust, war er, ganz allmählich, dazu übergegangen, vor seinen Pilzfunden, die sich mehrten an Zahl wie an Arten, das Wort »Wirtschaft« zu gebrauchen: »Hallo, Wirtschaft!« – »Und schon wieder eine Wirtschaft!« – »Wie sie heute floriert, meine Wirtschaft!« Es bliebnicht bloß bei dem unwillkürlichen Wort. Die Vorstellung, daß solche Funde, in solchen Mengen, von sich aus nach Verkauf, Handel, Markt riefen, erschien ihm so naturgemäß wie nur sonst etwas, wie seine Plädoyers, und jedenfalls naturgemäßer als mein Bücherschreiben. Das lag auch daran, daß mein einstiger Dorffreund von Mal zu Mal seiner Schätze allein nicht mehr Herr wurde. Es waren so viele, daß der eigene Verzehr sie kaum ums Kennen minderte, und Frau und Kind, eine Zeitlang guten Willens, kamen als Abnehmer nicht in Frage, auch nicht irgendwelche Nachbarn, obwohl er sich gerade sie als seine Kunden dachte – das hätte, so sein Gedanke, als Tauschhandel, eine Nachbarschaft ergeben, wie sie ihm vom Dorf damals her weiter vorschwebte, die aber in Wirklichkeit nirgends mehr bestand, und schon gar nicht in den Randstädten. Und seine Reichtümer auf den Markt tragen, die Wochen-, die Sonntagsmärkte? Allen Ernstes hatte er das vor,es drängte ihn geradezu, samt italienischen, balkanischen, afghanischen Anzügen, in jeder Hand einen schweren überquellenden Korb, sich dahin auf den Weg zu machen, als Anbieter, als Verkäufer, zumal seine Waren so unvergleichlich frischer und appetitlicher wirken mußten als sämtliches mattes, zerzaustes, von Fliegen umschwirrtes Zeug, in luftlosen Containern oder sonstwie herbeigekarrt aus fernen Provinzen und noch ferneren Ländern, gar Erdteilen.
    Nur waren viele, die meisten seiner Köstlichkeiten vor einem Jahrhundert noch Marktgüter gewesen, so selbstverständliche wie begehrte – aber heutzutage längst nicht mehr, und wenn, in den Zuchtformen: zu der Urform, der von fast aller Welt vergessenen, wären höchstens die Bemerkungen zu erwarten, mit denen üblicherweise von Pilzen die Rede ist. Mit den allerfeinsten Früchten der Erde – gerade von denen – war heutigentags, in der sogenannten »Gegenwart«, kein Markt mehr zu machen: »Degenerierte Kundschaft«, so sein Anwaltsjargon, »degenerierter Markt!«
    Außerdem ging ihm auf: Er war nicht zum Händler geschaffen, nicht einmal zum Marktversorger oder -lieferanten, ob das von seinem ganz zuinnerst nicht abzutuenden Dorfmenschentum herrührte oder auch nicht. Er war kein Marktschaffer, kein Marktschöpfer, kein Markttyp.
    Ein einziges Mal allerdings traute er sich, einen Korb voll Steinpilzen in ein Restaurant, ein italienisches, was sonst, mitzunehmen, wo er mit seiner Frau zu Abend aß, mit dem Hintergedanken, wenn die Augen des abruzzischen oder sardischen Wirts auf diese Prunksammlung fielen, so käme etwas in Gang, das ihm, dem Gast, dem weitbekannten »Starjuristen«, die Rolle eines einfachen Handelsmannes zuteilte, eines Anbieters, eines, der genau das, und vielleichtBesseres, anzubieten hatte, wonach an Ort und Stelle Nachfrage, eine besondere, herrschte. Und so war es wirklich gekommen, zwar nicht in der Form von Verkauf und Kauf, aber, umso besser, oder, wieder naturgemäßer, als Tauschgeschäft, mochten die zwei Flaschen abruzzischen oder sardischen Weins das Füllhorn funghi porcini auch nicht so recht aufwiegen: Er nicht bloß der Pilznarr, sondern Akteur der Naturalienwirtschaft, jemand aus einer Urzeit, und als seiner Frau dann der eingetauschte Wein zu kosten gegeben wurde, bedachte sie ihn, ihren Mann, mit einem Blick des Mädchens aus dem Nachbardorf, wie er ihn so offen, von so weit her, so langewährend noch keinmal von ihr zu spüren bekommen hatte, und auch danach bis zum heutigen Tag, da ich am sich nähernden Ende meiner Pilznarrengeschichte schreibe, niemals wieder kosten

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