Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Titel: Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
Vom Netzwerk:
totballernden Kindern, die er doch einmal, würde man sie recht erziehen, als zukünftige Bundesgenossen gesehen hatte: »Tunichtgute! Laßt die Wälder in Ruhe!« (Und zuletzt sagte er das nicht nur im Stillen.)Schmach über die falschen Schatzsucher, die von Jahr zu Jahr in den Wäldern wüster hausenden, nicht nur mit Spaten und Pickel, sondern mit mehr und mehr ausgepichten Geigerzählern, mit immer tiefer aufgerissenen Gruben danach um die Baumwurzeln. Schande über die Querwaldeinradler, welche jeden noch so verborgenen Hohlweg im Wald ausbauten mit aus dem Naturboden geschaufelten künstlichen Schanzen, Landeflächen, Slalomhügeln, als sei selbst die wildeste Wildnis nichts als ein von ihnen annektiertes Terrain. »Das, gottlose Hunde, sollt ihr büßen mir, dem Sohn des Pfades, demjenigen welchen!«
    Dabei erzählte mir seine Frau, wie entwaffnet er, selten genug, sich gefühlt habe, sooft ihn ein ballerndes Kind oder einer der Querwaldprescher unversehens gegrüßt habe (von den Metallschatzsuchern keiner), und wie er einmal bei einer Heimkehr von der frischen Haut und den leuchtenden Augen eines Waldsportlers begeistert gewesen sei – dagegen seine, auch bei den unerhörtesten Funden, gerade da?, so matten Augen, die Wangen wie entzündet von den Waldspinnweben, die Stirn jedesmal noch blutiger gekratzt von den Aststümpfen, gegen die er in seiner Suchgier, die er »Sehnsucht« nannte, blindlings anrannte, und daß er nicht schon längst, beim Einstich eines stachelspitzen Totholzstücks an einem Eichstamm in seinen Augenwinkel, gestern den rechten, heute den linken, einäugig geworden sei, gleich übrigens einiger seiner Vorfahren, das habe, so sie, er nur seinem Schutzengel zu verdanken, der, wie es in ihrer beider Gegend heiße, zugleich ein Warnengel sei: »Paß auf, Freund, beim nächsten Mal gibt’s meinen Schutz nicht mehr!«
    Immer noch machte er sich, erzählte sie endlich, auf in seinen feinen Anzügen, samt enggezogener Seidenkrawatte. – Und kam schmutzig zurück? – I wo, das nie, kein Fleckjemals auf dem Kammgarn, oder auf sonst was. Aber dafür: eingerissen, vor allem die Innenfutter, und das im gerade gekauften Anzug schon beim ersten Waldgang, oder spätestens beim zweiten, und im Verlauf statt ein- mehr und mehr aufgerissen, und in unsrer letzten gemeinsamen Zeit blank zerrissen.
    Nicht lange nachdem Frau und Kind – das beinah keins mehr war – das Haus verlassen hatten, hörte der Pilznarr mit seiner Anwaltsarbeit auf und ging daran, sein spezielles Pilzbuch zu schreiben. Aber, »wie gesagt«, »wie schon bemerkt …« Und damit, wie er mir kurz vor seinem Verschollengehen zukommen ließ, begann »die schaurigste Periode meines Lebens«. Da auch sie, unter anderen Vorzeichen, an anderen Gegenständen, durch die Jahrhunderte oft zur Sprache gekommen ist, kann ich mich, obwohl sie Jahr um Jahr gedauert hat, in der Erzählung, welche überdies bloße Nacherzählungsein muß – sonst nicht eben meine Sache –, kurz halten. Der »homerischen Quelle«, die Antonio Machado einmal beschworen hat als Rhythmusbild und Tonangabe, bin ich bis jetzt gefolgt. Für das Kommende ist sie, wie soll ich sagen, nicht mehr der Fall; oder es ist nicht mehr ihr Platz.
    Schaurig? Ja. Und zugleich erlebte er, auf der Suche, seinen fast täglichen Moment der Ekstase; eines bedingte das andre. Zur Ekstase kam es sogar, wenn er, seltener und seltener, einmal nicht fündig wurde: Eine solche zeigte ihm seiner Meinung nach an, daß er ein freier Mensch war, »der freieste von allen, und ihr anderen, ihr seid meine, seid unseresgleichen Sklaven«. Seinesgleichen? Ja. Jetzt, ohne Beruf, war er so frei, auch auf die Suche nach seinesgleichen zu gehen, nach den anderen speziellen Suchern, Ausforschern, Forschern, den in seiner Ahnung ebenso letzten Menschen wie er.
    Und das schien sich, episodisch, sogar zu bewahrheiten, freilich nicht mehr, wie vorher dann und wann, beim Suchen selber, in den Wäldern oder sonstigen Forschungsstellen – auch außerhalb der Wälder nahmen die, fast beängstigend, zu – und noch weniger bei den geplanten Treffen und Jahreskongressen der Pilzkundler oder »-freunde«, wie sie sich nannten, aus der ganzen Welt, wo er im ersten Jahr noch mit dabei war. Unter seinesgleichen fühlte er sich, sooft diese sich zufällig offenbarten, in der Regel, eigentlich fast jedesmal, inmitten von Unbekannten an einer Bartheke. Da brauchte es kein Fußballspiel im Fernsehen, um ins Gespräch zu

Weitere Kostenlose Bücher