Reine Glückssache
können, dass er irgendwie erleichtert war. Er beendete unser Gespräch mit der Bemerkung, Amerikaner seien komische Leute. Dann ist er aufgestanden, weil er reingehen wollte, und in dem Moment macht es
plopp, plopp …
und er ist tot.«
»Nur zwei Schüsse?«
»Mehr habe ich nicht gehört.«
»Sonst noch was?«
»Inoffiziell?«
»Oh, Mann«, stöhnte Morelli. »Ich kann’s nicht ab, wenn eine Unterhaltung mit dir so anfängt.«
»Zufällig bin ich heute Morgen in Howies Wohnung reinspaziert.«
»Will ich gar nicht wissen«, sagte Morelli. »Die Kollegen gehen natürlich auch in Howies Wohnung und suchen sie nach Fingerabdrücken ab, und wie ich dich kenne, sind deine über die ganze Wohnung verteilt.«
Verlegen kaute ich auf der Unterlippe. Kein gutes Timing. Wer hätte aber auch ahnen können, dass man Howie erschießen würde?
Morelli sah mich neugierig an. »Und?«, fragte er.
»Die Wohnung ist clean«, sagte ich. »Es gibt keinerlei Anzeichen, dass Singh da war. Kein Tagebuch, das über geheime Aktivitäten berichtet. Kein hastig hingeschmierter Zettel, auf dem steht, dass ihn jemand umbringen will oder so. Keine Spuren. Keine Drogen. Keine Waffen.«
»Vielleicht hat einfach jemand wahllos rumgeballert«, sagte Morelli. »Das ist nicht gerade die feinste Gegend hier.«
»Er war zur falschen Zeit am falschen Ort.«
»So kann man es auch ausdrücken.«
Keine Sekunde glaubten wir, dass sein Tod auf eine wahllose Ballerei zurückzuführen war. Im Innersten wusste ich, dass Howies Tod mit Singh und mir in Zusammenhang stand. Dass er in meiner Gegenwart getötet wurde, verhieß nichts Gutes.
Morellis Blick wurde sanfter, und er fuhr mit einem Finger über mein Kinn. »Ist dir auch wirklich nichts passiert?«
»Nein. Wirklich nicht.« Es stimmte ja auch … irgendwie. Meine Hände hatten aufgehört zu zittern, und der Schmerz in meiner Brust ließ nach. Nur in meinem Kopf, irgendwo, das wusste ich bereits, verbargen sich traurige Gedanken. Die Traurigkeit würde sich in den Vordergrund schieben, und ich würde sie in diverse Gehirnspalten abdrängen und die Spalten mit Gehirnmasse zustopfen. Ich bin ein großer Anhänger der Verdrängung. Wut, Leidenschaft und Angst machen sich bei mir spontan Luft. Traurigkeit hebe ich mir für dann auf, wenn der Schmerz betäubt ist. Irgendwann, vielleicht erst in zwei, drei Monaten, würde ich in einem Supermarkt am Regal mit den Cereals vorbeischlendern und in Tränen ausbrechen – wegen Howie, wegen eines Mannes, den ich nicht mal persönlich gekannt habe, meine Güte! Ich würde vor den Cereal-Kartons stehen und mich schnäuzen, und ich würde mir die Tränen aus den Augen blinzeln, damit keiner merkte, was für ein Gefühlswrack ich war. Was für ein Leben hatte Howie geführt, würde ich mich fragen. Ich würde an seinen Tod denken, und ich würde eine große Leere in mir spüren. Dann würde ich zur Tiefkühltruhe gehen und mir einen Eimer Cappuccinoeis von Häagen-Dasz kaufen und alles auf einen Schlag aufessen.
Morelli schmiss den Motor an und tuckerte davon. »Ich bringe dich zurück ins Büro, damit du dein Auto abholen kannst. Ich habe noch Papierkram auf der Wache zu erledigen. Wenn ich um halb sechs nicht zu Hause bin, geh ohne mich zu deinen Eltern zum Essen. Ich melde mich, sobald ich Zeit habe.«
Lula und Connie machten nicht gerade einen glücklichen Eindruck, als ich das Büro betrat.
»Uns bleiben nur noch wenige Tage, bis alle Welt weiß, dass Singh getürmt ist«, sagte Connie. »Vinnie dreht durch. Er hat sich mit einer Flasche Gin und dem Immobilienteil der Zeitung aus Scottsdale ins Büro eingeschlossen.«
»Die Beleidigtennummer kann er sich sparen«, sagte Lula.
»Mein Tag war auch nicht der beste. Ich habe kein Gramm abgenommen, und der Kerl, den wir sprechen wollten, ist tot. Jedes Mal wenn ich an den armen Howie denke, kriege ich Hunger. Für mich ist Essen Trost, ich bin ein echter Trostesser. Trostfraß baut bei mir Stress ab.«
»Stimmt. Außer den Schreibtischen hast du schon alles angeknabbert«, sagte Connie. »Es wäre billiger, du würdest Drogen nehmen.«
Vinnie steckte den Kopf durch die Bürotür. »Eine einzige Scheißspur! Und dann lässt er sich auch noch abknallen!«, schrie er mich an. »Was soll das?« Er verzog sich wieder ins Büro und knallte die Tür zu.
»Siehst du, das meinte ich«, sagte Lula. »Da kriege ich glatt Schmacht auf Makkaroni mit Käse.«
Wieder steckte Vinnie den Kopf durch die Tür.
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