Reine Glückssache
»Was gibt es zum Nachtisch?«, rief ich meiner Mutter zu.
»Schokoladenkuchen!«
Ich machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte in die Küche. Dort schnitt ich mir ein großzügiges Stück von dem Kuchen ab, wickelte es in Aluminiumfolie und rauschte aus dem Haus. Na gut, hatte ich mich eben wie eine Idiotin benommen, aber immerhin eine mit Kuchen.
Ich trat auf die Straße, stieg ins Auto und fuhr los, sprühend vor Empörung und selbstgerechter Wut. Ich kochte immer noch, als ich an Joes Haus ankam. Ich blieb ein paar Herzschläge lang sitzen und überdachte meine missliche Lage. Meine Klamotten und mein Hamster waren im Haus, von solchen Dingen wie Sicherheit und tollem Sex mal abgesehen. Das Problem war … ich reagierte so emotional. Ich weiß, Emotionen, das ist ein weites Feld, aber eine bessere Bezeichnung fiel mir nicht ein.
Verletzt,
das spielte auf jeden Fall mit rein. Es war wie ein Stich ins Herz, dass Morelli unwillkürlich grinsen musste, als er an Gilman in Jäckchen und Tanga gedacht hatte. Diese Gilman mit ihren perfekten Titten.
Bah.
Ohrfeigen hätte ich mich können.
Ich wickelte den Kuchen aus der Aluminiumfolie und aß ihn mit den Fingern. Bei Selbstzweifeln hilft Kuchen immer. Nachdem ich etwa die Hälfte gegessen hatte, ging es mir schon besser. Also, sagte ich mir, jetzt, wo etwas Ruhe eingekehrt ist, gucken wir uns mal genauer an, was eigentlich passiert ist.
Zunächst einmal: Was war ich doch für eine ausgemachte Heuchlerin. Wieso ging ich wegen Morelli und Gilman so tierisch in die Luft, wenn das, was ich mit Ranger hatte, genau das Gleiche war. Es sind berufliche Beziehungen, redete ich mir ein. Reg dich ab. Werd erwachsen. Vertrau deinen Leuten.
Na gut, jetzt hatte ich mich zur Ordnung gerufen. War sonst noch was? Eifersucht? Eifersucht tobte sich bei mir nicht anfallartig aus. Unsicherheit? Treffer! Unsicherheit kam schon eher hin. Keine große Unsicherheit, nur so viel, dass sie bei Zusammenbrüchen meiner geistigen Gesundheit zu Tage trat. Und das hier war definitiv ein Zusammenbruch meiner geistigen Gesundheit. Das Prinzip Verdrängung funktionierte bei mir nicht.
Ich legte den Gang ein und fuhr zu meiner Wohnung. Ich wollte nicht lange bleiben, überlegte ich. Ich würde nur kurz reingehen und ein paar Sachen rausholen … meine Würde zum Beispiel.
Ich stellte den Wagen auf dem Mieterparkplatz ab, drückte die Fahrertür auf und glitt mit einem Schwung hinterm Steuerrad hervor. Schnurstracks ging ich auf den Hintereingang des Hauses zu. Die Hälfte des Weges hatte ich zurückgelegt, da hörte ich ein Geräusch hinter mir.
Pfft.
Ich verspürte einen stechenden Schmerz in meinem rechten Schulterblatt, und eine Hitzewelle lief durch meinen Oberkörper. Die Welt vor mir versank in einem Grau, dann wurde mir schwarz vor Augen. Ich streckte die Hand aus, um mich abzustützen, aber ich merkte schon, wie mir die Beine versagten.
Ich schwamm in erstickender Finsternis, unfähig, daraus hervorzutauchen. Stimmen drangen nur teilweise zu mir vor, Worte verfälscht. Ich zwang mich, die Augen zu öffnen. Mach sie auf! Du sollst die Augen aufmachen!
Plötzlich war Tageslicht um mich herum. Die Bilder waren noch verschwommen, aber die Stimmen klangen jetzt deutlich. Mein Name wurde gerufen.
»Stephanie?«
Ich blinzelte ein paarmal mit den Augen, wie um meine Sicht zu schärfen, dann erkannte ich Morelli. »Scheiße. Was ist los?«, waren meine ersten Worte.
»Wie geht es dir?«, fragte Morelli.
»Ich fühle mich, als wäre ich von einem Lastwagen überfahren worden.«
Ein mir unbekannter Mann beugte sich über mich. Ein Sanitäter. Ich hatte eine Blutdruckmanschette am Handgelenk, und der Sanitäter hörte zu.
»Es geht ihr schon besser«, sagte er.
Ich lag auf dem Parkplatz, auf der Erde, und Joe und der Sanitäter richteten mich in eine sitzende Haltung auf. In der Nähe lungerte ein Krankenwagen, neben mir lag jede Menge medizinisches Gerät, Sauerstoffmaske, Bahre, medizinische Notfallausrüstung. Einige Kollegen von der Trentoner Polizei standen um mich herum, die Hände in die Seiten gestützt. Hinter den Bullen hatte sich eine kleine Zuschauermenge gebildet.
»Besser, wir bringen sie ins St. Francis-Krankenhaus, damit ein Arzt sie untersuchen kann«, sagte der Sanitäter.
»Vielleicht wollen sie sie zur Beobachtung über Nacht dabehalten.«
»Was ist passiert?«, fragte ich Morelli.
»Jemand hat dir mit einem Betäubungsgewehr in den Rücken geschossen. Deine Jacke
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