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Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken

Titel: Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannik Mahr
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Anfang des Jahres, wie viel Steuern er ungefähr bezahlen muss.“
    „Aber das ist doch ungerecht!“, sagte Herr Müller-Hohenstein.
    „Wieso ist das ungerecht?“
    „Weil dann einer, der 10000 Euro im Jahr verdient, genauso viel Steuern bezahlen würde wie einer, der 100000 Euro bekommt.“
    Ich hätte zu diesem Zeitpunkt unseren Dialog abbrechen müssen, zumal es ein halbes Jahr her war, dass Herr Müller-Hohenstein von der Differenz zwischen seinem und meinem Gehalt erfahren hatte. Aber ich wollte einmal Überzeugungsarbeit leisten, also fuhr ich fort: „Das stimmt nicht, Herr Müller-Hohenstein. Natürlich zahlt der, der mehr verdient, auch mehr Steuern!“
    „Wie kommen Sie darauf?“, fragte Herr Müller-Hohenstein. „Die zahlen doch beide das Gleiche, beide 25 Prozent!“
    „Ja, aber 25 Prozent von 10000 Euro sind 2500 Euro, und 20 Prozent von 100000 Euro sind 25000 Euro. Das heißt, der Besserverdienende zahlt zehnmal so viel Steuern wie …“
    „Aber er verdient ja auch viel mehr!“
    Wie gesagt, ich hätte aufgeben müssen, so wie Deutschlands Politiker aufgegeben haben. Unser Steuersystem ist nicht mehr zu retten, und deshalb wird es im Steuergesetzgebungsparadies Deutschland dabei bleiben, dass beim Kauf einer Flasche Ketchup der normale Mehrwertsteuersatz anfällt, bei dem einer Tube Tomatenmark dagegen nur der ermäßigte. Oder dass Adventskränze aus frischem Material mit sieben Prozent besteuert werden, solche aus getrockneten Pflanzen aber mit 19. Das gleiche Verhältnis gilt zwischen Haus- und Wildschweinen.
    Das verstehen Sie nicht? Dann versuchen Sie es mit diesem entzückenden Auszug aus einer Mitteilung des von mir sehr geschätzten Deutschen Steuerberaterverbandes aus dem Jahr 2010, die nun wirklich keine Frage offen lässt:
    „Keine Ist-Besteuerung für Freiberufler-GmbHs: Der BFH entschied in seinem Urteil vom 22.7.2010, dass Freiberufler-GmbHs mit buchführungspflichtigen Umsätzen nicht zur Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) gemäß Paragraph 20 Abs. 1 Nr. UStG berechtigt sind. Geklagt hatte eine Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH, die ab dem Veranlagungszeitraum 2004 ihre Umsätze nach vereinnahmten Entgelten versteuern wollte. Die Klägerin sah sich in ihrem materiellen Recht verletzt, da sie durch die Versagung der Ist-Besteuerung gegenüber ausländischen Unternehmen, die Steuerberatungsleistungen im Inland anbieten, benachteiligt sei. Sie vertrat die Ansicht, dass Paragraph 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG gegen Art. 3 Abs. 1 GG und die Gebote der Rechtsform- und Wettbewerbsneutralität, der Verhältnismäßigkeit und der Folgerichtigkeit verstoße.“
    Folgerichtig, oder?

Verkehrsbeeinflussungsanlagen

    Deutsch gehört nicht direkt zu den Sprachen, die in der Welt als besonders melodiös empfunden werden. Schon ein einfaches „Guten Morgen! Sie wünschen bitte?“ lässt den einen oder anderen Ausländer ob der ungewohnt harten Vokal-Konsonanten-Kombination zusammenzucken und an böse Zeiten denken. Wie das Französische etwas Libidinöses, so hat das Deutsche etwas Bestimmendes an sich. Unsere Sprache ist zum Befehlen und Knurren wie gemacht, und ansonsten für nicht in Deutschland, Österreich oder der Schweiz Geborene kaum zu verstehen.
    Als würde das nicht reichen, bemühen sich die Beamten der Republik erfolgreich, das Deutsche noch sperriger werden zu lassen. In jahrzehntelanger, aufopferungsvoller Arbeit haben sie einen Dialekt geschaffen, der in etwa so schwer zu entschlüsseln ist wie Sächsisch.
    Dem Behördendeutsch haben wir so wunderbare Wortschöpfungen wie „Spontanvegetation“ (womit unkontrolliert sich ausbreitendes Unkraut gemeint ist) und „Fahrtrichtungsanzeiger“ (für Blinker) zu verdanken. Ob es in anderen Sprachen auch einen Begriff wie „Verkehrsbeeinflussungsanlage“ gibt? Oder ob die in Frankreich, Spanien und England dazu einfach „Ampel“ sagen? Und was ist mit dem „Gelegenheitsverkehr“, dem „Identitätsnachweis“ und der gefürchteten „Überschreitung der Lärmpegelbemessungsgrundlage“? Sind das nicht viel bessere und vor allem eindeutigere Begriffe als „öffentlicher Nahverkehr“, „Ausweis“ und „Es ist viel zu laut“?
    Unverständlich, dass allerorten Experten versuchen, unseren sprachgewaltigen Beamten eine andere Ausdrucksweise beizubringen, und Übersetzungen für Behördendeutsch entwickeln. So wie Wissenschaftler der Universität Bochum, die den Mut hatten, in den

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