Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
zudem neuerdings der Hinweis helfen, dass man seinem Unmut „auch auf einem der Bewertungsportale im Internet“ Ausdruck verleihen könnte. „Ich sage nur: TripAdvisor.“
Das klingt nun alles ein wenig miesepetrig und griesgrämig und damit genau so, wie die Deutschen in weiten Teilen der Welt gesehen werden. Dabei hat unsere Beschwerdekultur nicht nur aufgrund ihrer Verschriftlichung eine beeindruckende, beinahe vorbildliche Vorgeschichte. Wenn man so will, ist der Wille, sich nicht alles gefallen zu lassen, eine direkte Folge der traumatischen Erfahrungen in den 30er- und 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs protestieren die Deutschen lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Wie war die Parole der Achtundsechziger? „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.“ Das gilt bis heute, im politischen und, stärker ausgeprägt, im wirtschaftlichen Bereich.
Die Achtundsechziger sind zwar inzwischen meist gut situierte Bürger mit Eigenheim, Putzfrau und zwei Kindern, die auf englische oder amerikanische Elite-Universitäten gehen. Das hat aber an ihrer grundsätzlichen Einstellung nichts verändert: Nur, dass sie jetzt nicht mehr gegen das Establishment, sondern gegen die Telekom aufbegehren, die es nicht schafft, innerhalb einer Woche einen DSL-Anschluss zu verlegen.
Sollten Sie an dieser Stelle darüber nachdenken, selbst einen Beschwerdebrief zu schreiben, weil Sie es satt haben, dass dem Deutschen in Büchern wie diesem wieder einmal schlechte Charakterzüge unterstellt werden: Warten Sie damit noch einen Moment! Denn die Beschwerde, gerade die schriftliche, ist in Wahrheit doch etwas Gutes! Wie sonst sollen Fehler abgestellt, Mängel behoben werden? Ist es nicht geradezu existenziell für das Überleben von „Made in Germany“, dass kritische Verbraucher auf Schwächen von Produkten beziehungsweise Dienstleistungen hinweisen, damit unsere Produkte noch besser werden? Und liegt nicht in jedem Hotelzimmer eine Karte, auf der der Gast seinen Aufenthalt bewerten soll, damit alles beim nächsten Mal noch schöner wird?
Die deutsche Beschwerdekultur ist der Grundstein unseres wirtschaftlichen Erfolgs. Ohne die ewige Nörgelei, ohne die Milliarden von Beschwerdebriefen und Verbesserungsvorschlägen wären wir wahrscheinlich nie Exportweltmeister geworden. Meckern ist also keine deutsche Schwäche, sondern eine der großen deutschen Stärken!
Selbstverständlich hat das auch unsere Firma erkannt – wenngleich erst vor gut zwei Jahren – und alle Mitarbeiter in Kundenorientierung schulen lassen.
Ich hatte das Vergnügen, in einer Gruppe mit Herrn Müller-Hohenstein zu landen, der sich bis zuletzt gegen die Teilnahme an dem Workshop gewehrt hatte, weil er, Zitat, „nun wirklich nicht wüsste, was ich noch lernen könnte“. Mir wäre einiges eingefallen, zum Beispiel, dass ein Satz wie „Entschuldigung, dafür bin ich nicht zuständig und ich weiß auch nicht, wer dafür bei uns im Haus zuständig ist“ vielleicht nicht jedes Mal die richtige Antwort auf eine Kundenanfrage ist.
Auch wenn ich ihn mir bei dem einen oder anderen Anrufer ebenfalls nicht verkneifen kann …
Seine Weigerung nutzte jedoch nichts, und so kam es, dass ausgerechnet Herr Müller-Hohenstein auf dem Workshop stellvertretend für alle anderen Teilnehmer Antworten auf Kundenreklamationen formulieren musste. Hier seine Top drei:
Beschwerde: „Ich warte seit zwei Wochen auf die versprochene Lieferung Ihres Produktes. Das kann doch nicht so schwer sein!“
Herrn Müller-Hohensteins Antwortvorschlag: „Zwei Wochen sind nun wirklich nicht sehr lange. Wir haben Kunden, die warten einen Monat, ohne sich gleich zu beschweren. Glauben Sie denn, dass wir uns nur um Sie kümmern müssen?“
Zuschrift: „Könnten Sie so nett sein und mir sagen, an wen ich in Ihrem Haus eine Initiativbewerbung für eine Stelle schicken kann? Vielen Dank im Voraus.“
Herrn Müller-Hohensteins Antwortvorschlag: „Am besten wahrscheinlich an die Personalabteilung, aber ich weiß nicht, wer da genau für Initiadingsbewerbungen zuständig ist. Außerdem brauchen wir hier im Moment niemanden mehr (und besonders gut zahlen die auch nicht).“
Beschwerde: „Ich habe die Schnauze voll und kündige den Vertrag mit Ihrer Firma zum nächstmöglichen Zeitpunkt.“
Herrn Müller-Hohensteins Antwortvorschlag entfiel. Er erklärte, dass er grundsätzlich nicht auf Beschwerdebriefe reagieren würde, die gewissen zivilisatorischen
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