Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
jenen Satz sprach, der für den Sparer das Gleiche gewesen sein muss wie für den Italiener aus unserem obigen Beispiel ein Koitus interruptus: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein“, erklärte die Kanzlerin und löste damit Angst und Chaos aus.
Herr Müller-Hohenstein kam am nächsten Tag anderthalb Stunden zu spät zur Arbeit, weil er sein gesamtes Vermögen abgehoben hatte. Zwei Wochen später hatte er die Hälfte davon in Gold anlegt, weil die Experten nicht nur den Untergang der Welt, sondern vor allem eine baldige Abwertung des Euro vorhersagten.
Die Münzen, angeblich zwei Säcke voll, muss Herr Müller-Hohenstein bis heute irgendwo in seiner Wohnung versteckt haben. Vielleicht im Kühlschrank, der angeblich seit vier Monaten defekt ist.
„Warum kaufen Sie sich nicht endlich einen neuen?“, fragte ich Herrn Müller-Hohenstein, als er sich zum hundertsten Mal darüber beklagte, dass die Milch umgekippt sei.
Seine Antwort hätte ich eigentlich voraussagen können: „Wovon soll ich das denn bezahlen?“
Die Spendenweltmeister
Ach, der Herr Müller-Hohenstein. Auch er gehört natürlich zu denjenigen, die bis heute alles umrechnen. Und wie wir bereits gesehen haben und im Folgenden weiter sehen werden, spart auch Herr Müller-Hohenstein, wo er kann.
Unsere Firma nimmt seit Jahren teil an einer Aktion, die „Restpfennig“ heißt (der fortbestehende Name ist ein weiterer Beweis für die Allgegenwart der D-Mark). Das Prinzip ist einfach: Die früheren Pfennig- und heutigen Cent-Beträge, die bei der Umwandlung des Brutto- ins Nettogehalt entstehen, werden den Mitarbeitern automatisch abgezogen, gesammelt und am Jahresende für einen guten Zweck verwendet.
Da es dabei maximal um einen Betrag von 13 Euro und 86 Cents gehen kann (14 Gehälter mal 99 Cents), machen alle Kollegen mit. Außer Herr Müller-Hohenstein. Das wusste niemand, bis ich, wie bereits beschrieben, aus Versehen seine Abrechnung in die Hände bekam. Hinter den 1845 Euro standen elf Cents, die sich Herr Müller-Hohenstein auf sein Konto bei der Sparkasse überweisen ließ.
Ich war erschüttert. Nicht wegen des Betrags, der den Erdbebenopfern in Haiti oder den Tsunamigeschädigten in Südostasien oder Japan nicht wirklich weitergeholfen hätte. Nein, die kleine Zahl nach dem Komma brachte mein Bild von Herrn Müller-Hohenstein als dem Menschen ins Wanken, der dem Durchschnittsdeutschen ganz, ganz nahe kommt. Wir Deutschen mögen zwar ungern bis gar nicht über Geld reden, und wir mögen sparsam sein. Aber eins sind wir nicht: zurückhaltend, wenn es darum geht, Menschen in Not zu helfen.
Wir sind nämlich Weltmeister im Spenden, jedes Jahr geben wir laut Deutschem Spendenmonitor rund drei Milliarden Euro für wohltätige Zwecke aus. Wobei hier die goldene Regel, dass man über Geld nicht spricht, nur eingeschränkt gilt. Bei den großen Spendengalas im Fernsehen lassen sich Unternehmer und Topmanager sehr gern dabei filmen, wie sie Millionenbeträge für die gute Sache zur Verfügung stellen. Die lokalen Tageszeitungen sind voll von Scheckübergabe-Fotos, und ich würde wetten, dass es heute in Deutschlands Sparkassen mehr von den überdimensionalen Scheckformularen gibt als von den kleinen Originalen. Denn wer zahlt im Zeitalter des Onlinebanking noch per Scheck?
Die Heimatzeitung meiner Eltern hat deswegen, und weil der Chefredakteur nicht auf jeder Seite das gleiche Motiv sehen wollte, vor Kurzem ein Scheckübergabe-Fotoverbot erlassen. Die Reaktionen waren verheerend. Schützen- und Sportvereine, Kaninchenzüchter und Kindergärten drohten mit Abokündigungen, wenn die Redaktion ihre Entscheidung nicht rückgängig machen würde.
„Ohne die Scheckübergabe-Fotos in der Zeitung gibt es für Unternehmen keinen Grund mehr, uns etwas zu spenden“, protestierte der Chef eines großen Fußballvereins auf der Leserbriefseite.
Ein anderer schrieb: „Ihre Entscheidung gefährdet unsere Zukunft. Warum soll jemand Kohle rausrücken, wenn niemand davon erfährt?“
Edle Motive sehen anders aus.
Dabei gibt es durchaus Menschen, die nicht in Zusammenhang mit ihren Spenden gebracht werden wollen. Die Welt der Politik funktioniert im Umgang mit Geld spiegelverkehrt zur sonstigen Realität. Während sich überall nachlesen lässt, was die Bundeskanzlerin und ihre Minister, was Ministerpräsidenten und Oberbürgermeister verdienen (und vor allem: wie wenig das
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