Reise durch die Sonnenwelt
gezeitigt hätte, denn sie erleuchtete Alles nur schwach und erwärmte gar nicht.
Alle Tafelgenossen kleideten sich von Kopf bis zu den Füßen warm an, um einen Ausflug zu unternehmen, der bis zum Eintritt der Nacht ausgedehnt werden sollte. Sie setzten sich dabei freilich einer sehr rauhen Temperatur aus, konnten das aber bei der ruhigen Luft ungestraft wagen.
Alle verließen, die Einen plaudernd, die Anderen singend, den Nina-Bau. Am Strande legten Alle die Schlittschuhe an und tummelten sich lustig, entweder allein oder in einzelnen Gruppen. Graf Timascheff, Kapitän Servadac und Lieutenant Prokop hielten sich gern zu einander. Negrete und die Spanier schweiften in launischen Bogen auf der ungeheuren Fläche umher und verschwanden bald mit wunderbarer Schnelligkeit unter den Grenzen des Horizontes. Jetzt, wo sie das Schlittschuhlaufen sicher erlernt, entwickelten sie mit Vorliebe dabei auch die ihnen angeborene Grazie.
Die Matrosen der Dobryna bildeten, nach einer in den nördlichen Ländern beliebten Gewohnheit, eine lange Reihe. Eine unter dem rechten Arme gehaltene Stange hielt sie dabei in einer Linie und so flogen sie hinaus bis über Sehweite, wie ein Eisenbahnzug, der in seinen Schienen nur Bogen von großem Radius beschreiben kann.
Pablo und Nina vergnügten sich vor Freude aufjauchzend Arm in Arm – zwei flatternde Vögel, denen man die Freiheit geschenkt – und näherten sich jetzt der Gruppe des Kapitän Servadac, um ihr sofort wieder im losen Spiel zu entfliehen. Diese jungen Wesen vereinigten in sich, man möchte sagen alle Freude auf der Gallia und vielleicht auch fast alle Hoffnung.
Hierbei ist jedoch Ben-Zouf nicht zu übergehen, der in fröhlicher Laune von dem Einen zum Anderen eilte, sich ganz der schönen Gegenwart hingab und sich um die Zukunft wenigstens nicht absorgte.
Die Schlittschuhläufer-Gesellschaft, welche mit fröhlichem Muthe über diese prachtvolle, ebene Fläche dahinflog, wagte sich weit, weit hinaus – weiter als die Kreislinie, welche den Horizont von Warm-Land umschloß. Ihren Augen verschwanden zuerst die Felsen des Ufers, dann der weiße Kamm der höheren Stufen und endlich auch der Gipfel des Vulkans mit seiner Wolkenhaube. Manchmal hielten die Läufer an, um Athem zu schöpfen, doch nur für einen Augenblick, um sich der Kälte nicht zu sehr auszusetzen. Dann ging es sausend wieder vorwärts nach der Küste der Insel Gourbi zu, ohne daß sie Jemand zu erreichen gesucht hätte, denn schon sank die Nacht herab und mahnte zur schleunigen Rückkehr.
Die Sonne senkte sich im Osten oder vielmehr – eine Erscheinung, welche die Gallia-Bewohner schon hinlänglich gewöhnt waren – sie schien rasch niederzustürzen. Der Untergang des Tagesgestirns ging an diesem begränzten Horizonte eben unter eigenthümlichen Umständen vor sich. Hier erglühten keine Dünste in den prächtigen Farbentönen, welche die letzten Strahlen sonst hervorzuzaubern pflegen. Ueber dem gefrorenen Meere sah das Auge nicht einmal jenen letzten grünlichen Lichtschimmer, der sonst über die flüssige Oberfläche zittert. Hier zeigte die durch eine bekannte optische Täuschung größer erscheinende Sonne bis zuletzt ihre reine, unveränderte Scheibe. Dann glaubte man, es habe sich plötzlich ein Schlund in dem Eise geöffnet, in dem sie verschwand und der dunklen Nacht ohne Uebergang Platz machte.
Bevor der Tag zur Neige ging, sammelte Kapitän Servadac seine kleine Welt um sich. Während man in Schützenschwärmen hinausgezogen war, sollte der Rückweg in geschlossenem Gliede angetreten werden, denn der Mond (die Nerina) stand jetzt in Conjunction zur Sonne und auch sein schwaches Licht fehlte der kurzen Nacht.
Jetzt hüllte diese schon die ganze Umgebung in ihren schwarzen Mantel. Die Sterne gossen über die Gallia nur ein »fahles Licht«, wie Corneille sich ausdrückt. Die Fackeln wurden also angezündet, und während deren Träger rasch voranglitten, loderten die Flammen, welche die geschwinde Bewegung noch belebte, leuchtend rückwärts.
Eine Stunde später hob sich das steile Ufer von Warm-Land unbestimmt wie eine schwarze Wolke vom Horizonte ab. Eine Täuschung war unmöglich. Hoch darüber strebte der Vulkan empor und warf einen intensiven Lichtschein durch die herrschende Finsterniß. Die auf dem glitzernden Eise sich wiederspiegelnden Lavamassen leuchteten bis zu den Schlittschuhläufern und zeichneten in deren Rücken lange Schatten ab.
So verging etwa ein und eine halbe Stunde.
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