Reise durch die Sonnenwelt
der hügeligen Landschaft der Provence, nichts von den Orangen-und Citronengärten, deren röthlicher Humus sich stufenweise auf Schichten trocknen Gesteins ablagerte; nichts von den Olivenwäldern mit ihrem meergrünen Laube, noch von den großen Anpflanzungen von Pfeffer-und Nesselbäumen, Mimosen, Palmenarten und Eukalypten; nichts von den Gebüschen von Riesengeranien, über welche sich da und dort eine großblättrige Aloë erhob, von den Kalkfelsen des Uferlandes, oder endlich von den tiefer im Lande verlaufenden Bergzügen mit ihrer düster-ernsten Decke dunkler Coniferen.
Hier blühte kein vegetabilisches Leben, denn auch die genügsamsten Pflanzen der kalten Zone, selbst das unter dem Schnee wachsende isländische Moos, hätten auf diesem steinichten Boden nicht ausdauern können. Hier fehlte es an jedem Thierleben, denn kein Vogel, weder ein Wasserscheerer, noch Sturmvogel oder Taucherhuhn, hätte hier Nahrung auch nur für einen Tag gefunden.
Hier herrschte das Steinreich mit all’ seiner entsetzlichen Trostlosigkeit.
Kapitän Servadac erschien fast mehr erregt, als man von seinem sonst so sorglosen Charakter erwartet hätte. Unbeweglich betrachtete er von dem höchsten Punkte eines übereisten Felsens aus mit thränenfeuchten Augen das traurige Gefilde. Er vermochte gar nicht zu glauben, daß hier früher das schöne Frankreich gelegen habe.
»Nein, rief er, und abermals nein! Unsere Ortsaufnahmen sind falsch gewesen! Wir sind nicht in dem Breitengrade, der die Seealpen durchschneidet. Das Land, welches wir suchen, liegt dort noch weiter rückwärts. Eine Mauer ist aus dem Meere aufgestiegen – zugegeben; aber jenseit derselben finden wir noch europäischen Boden. Graf Timascheff, kommen Sie, wir wollen diese Eiswüste durchwandern, und forschen und suchen, weiter und immer weiter! …«
Bei diesen Worten war Hector Servadac schon gegen zwanzig Schritt vorausgeeilt, um einen gangbaren Pfad durch dieses Labyrinth zu suchen.
Plötzlich hemmte er seine Schritte.
Sein Fuß stieß unter dem Schnee an einen offenbar bearbeiteten Stein. Seiner Form und Farbe nach konnte derselbe der neuen Bodenformation nicht angehören.
Kapitän Servadac hob ihn auf.
Es war ein Stück gelblicher Marmor, auf dem man noch einige eingravirte Buchstaben lesen konnte, unter anderem die Silbe: Vil …
»Villa!« rief Kapitän Servadac, und ließ das Marmorstück fallen, das dabei in tausend Trümmer sprang.
Von dieser Villa, gewiß einer prächtigen Wohnung am Ende des Caps von Antibes, in der schönsten Lage der Welt, von diesem herrlichen Cap selbst, das wie ein grünender Zweig zwischen den Golf von Jouan und den von Nizza hinausragt, von dem entzückenden Panorama mit den Seealpen im Hintergrunde, das sich von den pittoresken Bergbildungen von Esterelle über Eza, Monaco, Roquebrunn, Menton und Vintimille bis nach dem italienischen Landvorsprung von Bordighere ausgedehnt – was war von dem Allen noch übrig? Nicht einmal jenes Stückchen Marmor, das eben in Staub zerfiel.
Kapitän Servadac konnte nicht mehr daran zweifeln, daß das Cap von Antibes im Innern dieses neuen Continentes verschwunden sei. Bewegungslos hing er seinen traurigen Gedanken nach.
Da näherte sich ihm Graf Timascheff und sagte ernst.
»Kapitän, kennen Sie wohl die Devise der Familie Hope?
– Nein, Herr Graf, erwiderte Hector Servadac.
– Nun, sie lautet:
Orbe fracto, spes illaesa!
– Sie sagt das Gegentheil von dem verzweifelten Spruche Dante’s. – Ja, Kapitän doch jetzt mag jener Wahlspruch der unsere sein!«
Siebenzehntes Capitel.
Welches ganz treffend überschrieben werden könnte: Von demselben zu denselben.
Jetzt blieb den Seefahrern nichts weiter übrig, als nach der Insel Gourbi zurückzukehren. Dieses beschränkte Gebiet schien offenbar das einzige Stück des früheren Erdbodens zu sein, welches Diejenigen aufnehmen konnte die das neue Gestirn durch die Sonnenwelt führte.
»Nun, sagte sich Kapitän Servadac, es ist doch wenigstens ein Stück von Frankreich!«
Man besprach also die Rückkehr nach der Insel Gourbi, und schon sollte dieselbe beschlossen werden, als Lieutenant Prokop die Bemerkung machte, daß man die jetzigen Ufer des Mittelländischen Meeres noch nicht in ihrem ganzen Umfange aufgesucht habe.
»Wir haben im Norden, sagte er, von der früheren Stelle des Caps von Antibes noch den ganzen Küstenstrich bis zu jener schmalen Wasserstraße zu untersuchen, die nach dem Meerestheile westlich von Gibraltar
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