Reise durch die Sonnenwelt
aßen, fast die Fleischschnitte und Brotstückchen aus der Hand rissen. Man verfolgte sie nun mit Steinwürfen, Stockschlägen, selbst mit Flintenschüssen, doch nur nach einer ganzen Reihe von Gefechten erreichte man es, sich dieser lästigen Gäste wenigstens theilweise zu entledigen, während man einige Pärchen zur Erhaltung der Race schonte.
Ben-Zouf spielte hierbei den Oberjägermeister. O, wie er sich da fühlte und wie er commandirte! Wieviel Soldatenkraftworte verschwendete er gegen die armen Vögel! Und wieviele verzehrte man im Laufe einiger Tage von den eßbaren Gattungen darunter, wie wilde und langgeschwänzte Enten, Rebhühner, Schnepfen, Beckassinen u.s.w. Es schien sogar, als ob die Jäger diesen Arten mit verdoppeltem Eifer nachstellten.
Nach und nach ward wieder Ordnung im Nina-Bau. Nur etwa hundert Eindringlinge nisteten noch in schwer zugänglichen Löchern des Felsens. Allmälig betrachteten sich diese Eindringlinge als rechtmäßige Besitzer und verwehrten Anderen selbst den Eingang. Es kam endlich scheinbar zu einem Waffenstillstand zwischen den um den Wohnsitz streitenden Theilen, und so überließ man durch schweigende Uebereinkunft den Hitzköpfen gern die Polizeiverwaltung der Bergwohnung. Und wie wußten sie diese zu handhaben! Jeder unglückliche Vogel, der sich gegen Recht und Privilegium in die Galerien verirrte, wurde von seinen unerbitterlichen Stammverwandten entweder fortgetrieben oder umgebracht.
Eines Tages, es war am 15. April, hörte man am Ausgange der Hauptgalerie Nina laut um Hilfe rufen.
Pablo erkannte ihre Stimme und überholte sogar Ben-Zouf, um seiner kleinen Freundin zu Hilfe zu eilen.
Nur mit einem Stocke bewehrt, stürzte er sich in den Kampf. (S. 223.)
»Komm! Komm schnell! rief Nina, sie werden mich tödten!«
Pablo sah, als er nahe genug war, etwa ein halbes Dutzend großer Seemöven das Mädchen wüthend umflattern. Nur mit einem Stocke bewehrt, stürzte er sich in den ungleichen Kampf, und es gelang ihm auch, die beutegierigen Seevögel zu verjagen, freilich nicht ohne daß er einige empfindliche Schnäbelhiebe davontrug.
»Was hast Du denn, Nina? fragte er.
– Da sieh, Pablo!« antwortete das kleine Mädchen, indem sie Jenem einen Vogel wies, den sie zärtlich an ihre Brust drückte.
Ben-Zouf kam jetzt auch hinzu und nahm den Vogel aus den Händen des Mädchens.
»Das ist ja eine Taube!« rief er erfreut.
Es war in der That eine solche, und zwar eine Brieftaube, was ihre leicht bogenförmig geschweiften und am Ende abgestumpften Flügel bewiesen.
»Ah, rief plötzlich Ben-Zouf, bei allen Heiligen des Montmartre, sie trägt ein Beutelchen am Halse!«
Bald darauf wurde die Taube Hector Servadac übergeben und Alle liefen in der gemeinschaftlichen Wohnung, neugierig und verwundert über den unerwarteten Ankömmling, zusammen.
»Da kommt ja Nachricht von unserem gelehrten Herrn, rief sogleich Hector Servadac. Nach geschlossener Schifffahrt benutzt er Vögel als Briefboten. Wenn er nur dieses Mal seinen Namen und seine Adresse angegeben hätte!«
Graf Timascheff zog den edelmüthigen Kapitän an seine Brust. (S. 233.)
Der kleine Beutel war bei dem Kampfe der Taube gegen die Seemöven etwas zerrissen worden. Bei dessen Eröffnung fand man darin folgende kurze, lakonisch abgefaßte Notiz:
»Gallia.
Zurückgelegter Weg vom 1. März bis 1. April: 39,700.000 Lieues
(22 1 / 3 Millionen Meilen).
Entfernung von der Sonne: 110,000.000 Lieues (66 Millionen Meilen).
Im Vorübergange Nerina entführt.
Lebensmittel gehen bald aus und …«
Der von den Schnäbeln der Möven zerrissene Rest der Depesche war nicht weiter lesbar.
»O, verteufeltes Pech! rief Hector Servadac. Hier standen gewiß noch Unterschrift, Datum und Ortsangabe! Heute ist auch der ganze Text in französischer Sprache abgefaßt und gewiß ist, der ihn schrieb, ein Franzose, und wir sind außer Stande, ihm zu Hilfe zu kommen!«
Graf Timascheff und Lieutenant Prokop kehrten noch einmal nach dem Platze zurück, an dem die Vögel sich herumgebissen hatten, in der stillen Hoffnung, noch ein abgerissenes Papierstückchen, einen Namen, eine Unterschrift oder irgend eine Hindeutung zu finden, die ihnen auf die Spur des unbekannten Unglücklichen helfen könnte … ihre Bemühungen waren umsonst.
»Sollten wir denn niemals erfahren, wo sich dieser einzige Ueberlebende von der alten Erde aufhält? fragte Kapitän Servadac.
– Ei, rief da plötzlich die kleine Nina,
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