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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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hast. Und wie sehr du mir fehlen wirst.«
    »Nein, ich schreibe ihm nicht. Du wirst das tun.«
    »Hast du Angst, daß er dich vielleicht doch nicht will?«
    »Nein, Liebes, davor habe ich wirklich keine Angst. Aber ich will ihm nicht schreiben, weil er nicht zu wissen braucht, daß
     ich zu ihm fliehe. Er braucht nicht zu wissen, daß er die einzige Lösung ist. Er soll glauben, ich hätte mich seiner erbarmt.
     Sonst schwillt ihm noch der Kamm.«
    »Wie recht du hast.«
    »Schreib ihm, du hättest mir sehr zugeredet, ich solle zu ihm zurückgehen, und du hättest gemerkt, daß ich nicht ganz abgeneigt
     sei, aber ich wolle es aus Stolz nicht zugeben. Und daß es am |239| besten wäre, wenn er nach Paris käme und mit mir zu sprechen versuchte. Du würdest die Sache arrangieren. Schreib einen klugen
     Brief, Liebes. Du kannst sicher sein, daß sich Zoltán dir gegenüber sehr kavaliersmäßig verhalten wird.«
    »Phantastisch. Ich will ihm gleich hier und jetzt schreiben. Du Erszi, wenn du dann wieder in Budapest und wieder Zoltáns
     Frau bist, könntest du mir ein Paar Schuhe schicken. Du weißt doch, in Budapest sind sie viel billiger und auch besser, haltbarer.«

|240| 7
    Foied vinom pipafo, cra carefo
. Heute trinke ich Wein, morgen wird es keinen geben. Der Wein war ausgetrunken, weg war die geheimnisvolle innere Flüssigkeit,
     die einen morgens weckt und in der Illusion wiegt, es lohne sich aufzustehen. Und in dem Maß, wie der Wein zu Ende ging, hob
     sich von unten das dunkle Meer, der dunkle Salzsee, der in seinen Tiefen mit dem Ozean zusammenhängt, die Andere Sehnsucht,
     die dem Leben entgegengesetzte, mächtigere.
    Und Tamás, der Todeskeim, wuchs jetzt in Mihály zu voller Größe. Sein eigener Tod wuchs in ihm, nährte sich von seinen Lebenssäften,
     dachte und argumentierte mit seinen Gedanken, sog die schönen Anblicke auf, bis er ganz ausgewachsen war und in die Welt hinaustreten
     konnte, als Wirklichkeit.
    Er schrieb Éva den Zeitpunkt: Samstag nacht. Sie antwortete: Ich werde dasein.
    Das war alles. Die kurze matter-of-fact-Antwort verblüffte ihn doch ein bißchen: Bedeutete es für Éva nur gerade soviel? Was
     für eine Todesroutine! Beängstigend.
    Er fühlte, wie sich eine Kälte in ihm auszubreiten begann, eine merkwürdige, kranke Kälte, wie bei einer Lokalanästhesie,
     wenn der entsprechende Körperteil allmählich gefühllos wird und uns der eigene Körper fremd und beängstigend vorkommt: Auf
     diese Art starb in ihm das Etwas, das Éva gewesen war. Mihály kannte die Pausen, das Aussetzen der Liebe sehr wohl, wenn mitten
     in der brennendsten Verliebtheit die geliebte Person plötzlich völlig gleichgültig wird und man erstaunt ihr fremdes, schönes
     Gesicht betrachtet, ob es denn wirklich der Frau gehört, die   … Auch jetzt spürte er ein solches Aussetzen, und es war stärker als alle bisher. Éva erkaltete.
    |241| Aber was würde dann aus der tamáshaften Süße des letzten Augenblicks?
    Es kam ihm ein seltsamer, unpassender Humor, und er stellte fest, daß der große Akt entschieden schlecht anfing.
    Das war am Samstag nachmittag. Er fand sich mit der schwergewichtigen Frage konfrontiert, wie das Programm der nächsten Stunden
     aussehen sollte. Was tut man, wenn nichts mehr einen Sinn hat? »Die letzten Stunden eines Selbstmörders« – daß dieser Ausdruck
     auf ihn zutraf, verblüffte ihn noch mehr, als wenn er früher von sich feststellen mußte, er sei »verzückt vor Liebe« oder
     er »könne ohne sie nicht leben«. Wie schrecklich, daß wir uns den herausragendsten Momenten und Zuständen unseres Lebens nur
     mit den banalsten Klischees nähern können, ja, daß diese Augenblicke wohl tatsächlich unsere banalsten sind. Wir sind dann
     so wie alle anderen. Mihály würde sich jetzt »auf den Tod vorbereiten«, wie alle Menschen, die wissen, daß sie sterben müssen.
    Ja, es blieb nichts anderes übrig, er konnte sich den Gesetzen nicht entziehen, noch in seinen letzten Augenblicken mußte
     er sich konform verhalten. Auch er würde einen Abschiedsbrief schreiben, wie es sich gehört. Es wäre ja auch nicht anständig,
     seinen Vater und seine Mutter ohne Abschied zurückzulassen. Er würde ihnen einen Brief schreiben.
    Das war der erste schmerzhafte Augenblick, als ihm das einfiel. Bis dahin hatte er nur einen dumpfen, müden Verdruß gespürt,
     einen Nebel, in dem der Vollzug der letzten Minuten und das Denken an Tamás geheimnisvoll grünlich

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