Reise im Mondlicht
gegen die Tür.
»Kommen Sie nicht herein«, schrie Erzsi.
Der Perser ließ die Tür los.
»Elisabeth«, sagte er noch einmal, doch es schien in der Ferne zu verklingen.
Dann sagte er nach einer Weile:
»Gute Nacht«, und ging in sein Zimmer zurück.
Erzsi lag zähneklappernd und angezogen auf dem Bett. Sie weinte und war entsetzlich müde. Es war die Stunde der Wahrheit,
da man sein ganzes Leben mit Klarheit sieht. Sie versuchte nichts zu beschönigen: Sie wußte, daß sie den Perser nicht deshalb
abgewiesen hatte, weil die demütigenden Umstände sie beleidigten, und auch nicht aus Anstandsgründen, sondern weil sie feig
war. Das Geheimnis, das sie die ganze Zeit gesucht hatte, war zu ihr unterwegs gewesen, und sie hatte sich gedrückt. Einmal
Spießbürgerin, immer Spießbürgerin.
Ach, wenn der Perser jetzt käme, sie würde ihn hereinlassen … |237| Sie würde doch sicher nicht daran sterben,etwas wirklich Schreckliches konnte nicht geschehen, ach, war diese kindische Angst
idiotisch gewesen.Wenn der Perser jetzt zurückkäme, würde diese unsägliche Müdigkeit vergehen und überhaupt alles, alles …
Doch der Perser kam nicht zurück. Erzsi zog sich aus, legte sich ins Bett und schlief ein.
Sie schlief ein, zwei Stunden. Wachte dann auf, als es draußen dämmerte. Es war halb vier. Sie sprang auf, wusch sich notdürftig
und schlüpfte auf den Gang hinaus. Ohne zu überlegen wußte sie, daß sie hier verschwinden mußte. Sie wußte, daß sie den Perser
nie mehr sehen durfte. Sie schämte sich, war aber auch froh, mit heiler Haut davongekommen zu sein. Ihre Stimmung war gar
nicht schlecht, und als es ihr gelang, das große Tor zu öffnen, das verriegelt, aber nicht abgeschlossen war, und als es ihr
ebenso gelang, unbemerkt durch den Garten auf die Landstraße zu kommen, wurde sie von jungenhafter Verwegenheit gepackt, und
sie hatte das Gefühl, aller Feigheit zum Trotz diejenige zu sein, die gewonnen, die es geschafft hatte.
Sie lief glücklich die Landstraße entlang und gelangte bald in ein kleines Dorf. Es stellte sich heraus, daß es ganz in der
Nähe nicht nur einen Bahnhof gab, sondern auch einen Marktfahrer-Zug, der nach Paris ging. Es war noch früh am Morgen, als
sie in der Stadt ankam.
Im Hotel angekommen, ging sie zu Bett und schlief tief und vielleicht auch glücklich bis in den Nachmittag hinein. Als sie
aufwachte, hatte sie das Gefühl, wirklich erwacht zu sein, aus einem langen, schönen, erschreckenden Traum. Sie nahm ein Taxi
und fuhr zu Sári, obwohl sie auch den Bus oder die Metro hätte nehmen können. Doch jetzt, da sie erwacht war, hatte es mit
ihrer Sparsamkeit ein Ende.
Sie erzählte Sári die ganze Begebenheit, mit der zynischen Offenheit, mit der die Frauen ihre Liebesaffären untereinander
abhandeln. Sári würzte den Bericht mit kleineren Zwischenrufen und weisen Bemerkungen.
»Und was machst du jetzt?« fragte sie am Schluß zärtlich und tröstend.
|238| »Was ich mache? Hast du es denn noch nicht erraten? Ich gehe zu Zoltán zurück. Deshalb bin ich auch hergekommen.«
»Du gehst zu Zoltán zurück. Dafür hast du ihn verlassen? Und glaubst du, jetzt wird es besser? Man kann doch wirklich nicht
behaupten, du liebtest ihn speziell. Ich verstehe dich nicht … Aber du hast völlig recht. Absolut recht. An deiner Stelle würde ich dasselbe tun. Denn sicher ist sicher, und du bist nicht
geschaffen, bis ins Alter hinein in Paris ein Studentenleben zu führen und deine Liebhaber zu wechseln, als ob du davon lebtest.«
»Nein, wirklich nicht. Und gerade deshalb … Weißt du, jetzt verstehe ich, woher der gestrige Schreck kam. Vom Gedanken, wohin das führen würde. Nach dem Perser könnte
ein Venezolaner kommen, dann ein Japaner und dann vielleicht ein Neger … Es gäbe kein Halten mehr, denn wenn man einmal angefangen hat, was in aller Welt sollte einen aufhalten? Und das dann doch
lieber nicht. Das geht ja doch nicht, daß ich so eine werde, nicht wahr? Davor bin ich erschrocken, vor mir selbst, vor all
dem, wozu ich fähig wäre und was mir noch zustoßen könnte. Das dann doch lieber nicht.Irgend etwas muß eine Frau zurückhalten.Dann
doch lieber Zoltán.«
»Was heißt dann doch lieber? Am allerliebsten. Er ist reich, er ist gütig, er betet dich an, ich verstehe gar nicht, wie du
ihn verlassen konntest. Los, schreib ihm gleich, und dann packst du und fährst ab. Meine liebe Erzsi … Wie gut du es
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