Reise im Mondlicht
Kraft und Selbstvertrauen, meine Liebe zu ihr war eine Demütigung und Aufhebung
meines Wesens … das sind natürlich bloß rhetorische Antithesen. Damals hatte ich das Gefühl, daß das alte Spiel Wirklichkeit wurde und ich
in der großen Erfüllung allmählich zugrunde ging. Ich ging für Éva und durch Éva zugrunde, so wie wir das früher gespielt
hatten.«
Mihály stand auf und begann unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. Jetzt, jetzt tat es ihm leid, so freimütig gewesen zu sein.
Vor Erzsi … einer fremden Frau …
|53| Erzsi sagte:
»Aber vorhin hast du doch gesagt, daß du in sie nicht verliebt sein konntest, weil ihr euch zu gut kanntet, weil zwischen
euch die nötige Distanz fehlte.«
(Alles in Ordnung, sie versteht’s nicht, dachte Mihály. Sie versteht nur so viel, wie ihre völlig primäre Eifersucht aufzunehmen
vermag.)
»Gut, daß du das erwähnst«, sagte er beruhigt. »Bis zu jener denkwürdigen Nacht gab es in der Tat keine Distanz. Ich entdeckte
erst, als wir wie eine Dame und ein Herr zu zweit dort saßen, daß Éva schon eine ganz andere Frau war, eine großartige, wunderschöne
Frau, während sie doch auch noch die alte Éva war, die für immer die krankhafte, dunkle Süße meiner Jugend in sich trug.
Im übrigen pfiff sie auf mich. Es gelang mir nur selten, sie zu sehen, und auch dann kümmerte sie sich nicht um mich. Ihre
Unruhe war schon pathologisch. Vor allem, nachdem der ernsthafte Bewerber auf der Bildfläche erschienen war. Es war ein bekannter,
reicher, nicht mehr ganz junger Antiquitätensammler, der ein paarmal beim alten Ulpius vorbeigekommen war, hin und wieder
Éva gesehen hatte und seit geraumer Weile plante, sie zu heiraten. Der alte Ulpius teilte Éva mit, er dulde keinerlei Widerspruch.
Er habe sie schon lange genug am Hals gehabt. Sie solle heiraten oder sich zum Teufel scheren. Éva verlangte eine zweimonatige
Bedenkzeit. Auf Bitten des Bräutigams war der Alte einverstanden. Je weniger sich Éva um mich kümmerte, um so stärker wurde
in mir das Gefühl, das ich behelfsmäßig Verliebtheit genannt habe. Offenbar hatte ich damals einen ganz besonderen Hang zur
Hoffnungslosigkeit: nachts vor ihrem Tor herumstehen, um sie zu belauern, wenn sie mit lachender, lauter Begleitung nach Hause
kam; meine Studien vernachlässigen; mein ganzes Geld für idiotische Geschenke ausgeben, die sie kaum zur Kenntnis nahm; unterwürfig
sentimental werden und weibische Szenen machen, wenn ich sie traf – das war meine Sparte, da lebte ich wirklich auf, und keine
Freude, die es seither gegeben hat, ist so tief gegangen wie jener Schmerz, jene glückliche Schmach: daß ich ihretwegen |54| zugrunde gehen mußte, während sie mir ihre Tritte in den Hintern gab. Ob man das Liebe nennt?«
(Warum erzähle ich das, warum erzähle ich das … ich habe wieder zuviel getrunken. Aber ich mußte es einmal sagen, und Erzsi versteht es sowieso nicht.)
»Inzwischen näherte sich die Bedenkfrist ihrem Ende. Der alte Ulpius platzte manchmal in ihr Zimmer hinein und machte grauenhafte
Szenen. Zu jener Zeit war er schon dauernd betrunken. Auch der Bräutigam tauchte auf, mit grauem Haar und verschämtem Lächeln.
Éva erbat sich noch eine Woche. Um mit Tamás in Ruhe verreisen und von ihm Abschied nehmen zu können. Irgendwoher hatte sie
sogar das Geld für die Reise.
Also verreisten sie. Nach Hallstatt. Es war Spätherbst, und außer ihnen war kein Mensch dort. Es gibt nichts Tödlicheres als
diese alten, historischen Badeorte. Denn wenn eine Burg oder eine Kathedrale sehr alt und vollkommen unzeitgemäß und da und
dort am Zerbröckeln ist, so ist das natürlich, das gehört eben so. Aber wenn ein Ort, der für Augenblicksfreuden geschaffen
wurde, etwa ein Kaffeehaus oder eine Promenade, seine Vergänglichkeit zeigt … das ist etwas vom Gräßlichsten.«
»Schon gut«, sagte Erzsi, »erzähl weiter. Was passierte mit den beiden Ulpius?«
»Liebes, ich zögere und philosophiere, weil ich von hier an nicht mehr weiß, was mit ihnen passiert ist. Ich habe sie nie
mehr gesehen.Tamás Ulpius hat sich in Hallstatt vergiftet. Mit Erfolg diesmal.«
»Und was war mit Éva?«
»Was sie mit Tamás’Tod zu tun hatte? Vielleicht nichts. Ich weiß es nicht. Sie ist nie mehr nach Hause gekommen. Es hieß,
nach Tamás’ Tod sei sie von einem hohen ausländischen Offizier geholt worden.
Ich hätte sie vielleicht noch treffen können. In den
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